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Zwischen Musenkuss und Haifischbecken - Der schwierige Weg des Buches zum Leser

Viele Menschen haben den Traum, ein Buch zu schreiben. Viele Menschen bewundern daher Schriftsteller, die Bücher schreiben und publizieren.

Ein Buch zu schreiben, ist eines. Das verlangt im Zweifel die Beherrschung des literarischen Handwerkszeugs, viel Ausdauer und Disziplin. Manche denken, damit sei der Großteil der Arbeit getan. Ein Manuskript auf den Markt zu bringen, wenn es fertig ist, dauert allerdings meistens nochmals bis zu einem Jahr. Und ein Buch erfolgreich zu verkaufen, ist noch einmal eine ganz andere Geschichte.

Wenn Menschen von mir wissen wollen, wie es mit dem Bücher schreiben geht, befinde ich mich oft in einem Zwiespalt – einerseits möchte ich die Begeisterung zu schreiben und auch den Mut damit in die Welt zu gehen unterstützen, andererseits kenne ich die Abgründe des Literaturmarktes mittlerweile allzu gut, dass ich nicht weiß, ob man diesen Weg ernsthaft empfehlen kann. Denn um in dieser Welt zu bestehen, braucht es noch mehr Ausdauer und es braucht vor allem jede Menge Frustrationstoleranz und den unabdingbaren Glauben an sich selbst beziehungsweise an das eigene Schreiben.

Oft höre ich diesen Satz, dass ich meiner Berufung zu schreiben folgen kann, sei ja wunderbar und daraus folgt dann häufig die Idee, mein Leben müsste demzufolge besonders toll sein. Mir ist natürlich klar, dass hier Träume, Sehnsüchte und Wünsche auf mich als Schriftstellerin projiziert werden. Allerdings hat einer Berufung zu folgen, wie ich sie beim Schreiben tatsächlich so empfinde, wenig mit folgen können oder folgen dürfen, sondern etwas mit folgen müssen zu tun. Und das ist nicht immer so toll angesichts eines äußerst merkwürdigen Literaturgeschäftes.

Ich bin nun seit 25 Jahren im Bereich Buchbetrieb und Literaturmarkt unterwegs, durfte diese von allen Seiten intensiv studieren. Es dauert nur kurze Zeit, bis man ernüchtert und desillusioniert auf diesen Betrieb schaut, wenn man sich professionell in ihm bewegt. Und dann gilt es eben weiterzumachen, trotz allem, getrieben von der Liebe zum Schreiben und der Leidenschaft für Bücher.

Was viele Leser und auch angehende Autoren nicht wissen, ist, wie sperrig und starr der deutsche Buchmarkt ist und wie wenig bei den Autoren finanziell hängenbleibt. Sie bekommen vertraglich geregelt zwischen 8-10% des Nettoverkaufspreises. Bei einem Buch, das 24€ kostet, bleiben 2,24€ beim Autor – der Rest geht an Verlag (2,81€), Lektorat (0,80€), Gestaltung und Satz (0,65€), Druckerei (3,69€), Vertrieb und Lager (1,21€), Presse und Werbung (1,15€), Großhandel (2,24€) und an die Buchhandlungen (7,85€). Das klingt viel für die Buchhandlungen, aber angesichts der Nebenkosten stationärer Buchhandlungen im Vergleich zu Online-Buchläden bleibt da auch nicht viel übrig.

Man kann sich ausrechnen, wie viele Exemplare eines Buches ein Autor verkaufen muss, um einigermaßen vom Schreiben leben zu können. Wenn 1000 Bücher pro Monat verkauft würden, dann würde er nach zwei Jahren zu den Bestseller-Autoren gehören, hätte aber nicht wahnsinnig viel Geld verdient.

Der deutsche Buchhandel wird von den Großhändlern bestimmt, dem sog. Barsortiment, die als Zwischenhändler zwischen Verlagen und Buchhandlungen fungieren. Die Barsortimente kaufen größere Mengen Bücher bei den Verlagen ein, lagern sie und liefern über Nacht, garantieren damit eine schnelle Verfügbarkeit. Durch den Einkauf größerer Mengen erhalten sie Rabatte von bis zu 40-50% von den Verlagen.

Ein Modell, das für große Verlage und Buchkonzerne gut funktioniert, für kleinere Verlage oft nur schwer finanzierbar ist. Hinzu kommt, dass der Großhandel nach Belieben Bücher auslisten kann, wenn diese sich nach seiner Vorstellung nicht gut genug verkaufen, was vor allem Bücher kleiner und unabhängiger Verlage trifft, die naturgemäß viel weniger umsetzen. Dies wiederum führt dann dazu, dass die Bücher dieser Verlage weniger sichtbar sind, was wiederum zu geringeren Verkaufszahlen führt. Kleine Verlage und auch Selfpublisher befinden sich in dem Dilemma, dass es eigentlich nicht mit und auch nicht ohne den Großhandel geht. Natürlich ist ein Buch, auch wenn es nicht mehr über den Großhandel vertrieben wird, weiterhin lieferbar, aber die Realität sieht so aus, dass in großen Online-Buchläden ein Buch dann als ‚nicht lieferbar’ bezeichnet wird, was dazu führt, dass potentielle Käufer es dann für vergriffen halten und nicht versuchen, es direkt beim Verlag zu bestellen.

Auch kleine, unabhängige Buchhandlungen sind dem steigenden finanziellen Druck, befeuert von Online-Riesen wie amazon, der noch höhere Rabatte verlangt als der Großhandel und damit über enorme Marktmacht verfügt, immer weniger gewachsen. Auch hier ist es wieder so, dass die meisten kleinen Verlage es sich nicht leisten können, ohne amazon zu agieren, gleichzeitig aber dadurch an den Rand des finanziellen Ruins gedrängt werden.

Immer wieder ist es der Kampf zwischen Sichtbarkeit auf dem Buchmarkt und finanzieller Machbarkeit. Der Konzern Bertelsmann (random house) dominiert einen Großteil der Auslagen in Buchhandlungen, was den wenigsten Lesern bekannt ist. Er agiert unter vielen verschiedenen Verlagsnamen, die jedoch alle zu demselben Konzern gehören. Solche großen Buchkonzerne kaufen sich die Prime-Plätze in Buchhandlungen ein und erlangen dadurch größtmögliche Sichtbarkeit. Jeder, der ab und zu in einen Buchladen geht, weiß, dass auf den Tischen der üblichen Buchsupermarktketten, die längst kleinere Buchhandlungen verdrängt haben, immer dieselben Bücher liegen.

Daher haben wir es in Deutschland mit dem seltsamen Widerspruch zu tun, dass das Buch als wichtiges Kulturgut bezeichnet wird, de facto aber Massenware ist und dementsprechend nicht Qualität, sondern Quantität zählt.

Bestseller dominieren hierzulande den Buchmarkt – 2021 wurden beispielsweise 273 Millionen Bücher in Deutschland verkauft, verteilt auf nur rund eine Million verschiedene Titel. Filialisten wie Hugendubel, Thalia & Co. haben in ihren Läden eigens auffällig gestaltete Regale für die Bestseller installiert.

Ein weiteres Beispiel: 2018 erschienen auf dem deutschen Buchmarkt knapp 25.000 Romane. Nur 118 davon gelangten auf die Bestsellerlisten. Das war weniger als ein halbes Prozent. Ein ähnlich drastisches Bild ergibt sich beim Blick auf die reinen Wirtschaftszahlen. Ein Prozent der in Deutschland angebotenen Buchtitel machen fünfzig Prozent des Umsatzes aus. Und der überragende Großteil, fast neunzig Prozent der derzeit erhältlichen Bücher, schaffen keine hundert Stück zu verkaufen.

Eine entscheidende Rolle beim Verkauf spielt zudem der sog. Matthäus-Effekt, der sich auf einen Satz im Matthäusevangelium bezieht: ‚Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe.’ Bezogen auf den Buchmarkt bedeutet dies, wenn ein Titel es erst einmal in die Bestsellerlisten geschafft hat, dann bleibt er dort eine ganze Weile, denn allein die Präsenz in den Charts sorgt dafür, dass noch mehr Exemplare verkauft werden. Und das gilt dann nicht nur für den einzelnen Titel, sondern für alle weiteren Bücher des Autors.

Bestseller werden gemacht – große Verlage schließen Jahresverträge mit Ketten wie Thalia, Hugendubel oder Weltbild ab, um ein Buch zum Bestseller zu machen. Dafür wird es an hervorgehobenen Tischen in den Filialen ausgelegt, es wird an prominenter Stelle in großen Zeitungen platziert – dafür fließen sehr hohe Summen Geld, was sich natürlich nur große Buchkonzerne leisten können, aber keine kleinen unabhängigen Verlage.

In Deutschland gibt es derzeit etwa 3000 Verlage, davon noch immer viele kleine Verlagshäuser. Dennoch werden die Umsatzrankings und Bestsellerlisten von den größten Verlagsgruppen wie Random House, Holtzbrinck-Verlage und Bonnier-Verlage dominiert.

Was die Leserinnen und Leser also auf Ladentischen in den üblichen Buchsupermärkten und auf Spiegelbestseller-Listen empfohlen bekommen, ist alles andere als ein unabhängiger Überblick über tatsächliche Neuerscheinungen, sondern ist eine bereits stark beeinflusste Warenauswahl, eben der mainstream mit entsprechender finanzieller Marktmacht dahinter.

Die meisten kleinen Verlage tauchen in den üblichen Buchhandlungen mit ihren Büchern nicht auf. Wer nach interessanten und spannenden Büchern sucht, abseits des diktierten Buchmainstreams, muss sich selber auf die Suche machen, auf den Webseiten kleiner Verlage schauen, alternative Buchforen studieren, was vielleicht aufwendiger, aber auf jeden Fall lohnenswert ist. Ob auch kleinere Verlage und unbekanntere Autoren eine Chance haben, das entscheiden die Käufer maßgeblich mit.

Die Verlagslandschaft unterliegt einem enormen Wandel. Es gibt Verleger, die behaupten, es wird in absehbarer Zeit keine Verlage mehr geben. Die Möglichkeiten, heute ein Buch auf dem Markt zu bringen, sind größer als je zuvor, vor allem durch die Selfpublishing-Portale. 2019 erschienen 50.000 self-publishing-Titel, Tendenz steigend. Im Vergleich dazu erschienen 70.000 Verlagstitel, Tendenz sinkend. Aber gerade auch Selfpublisher kämpfen mit denselben Problemen wie kleine Verlage, sie haben Probleme im Großhandel vertreten und damit sichtbar zu sein, sie schaffen es so gut wie nicht in die Buchhandlungen, obwohl mittlerweile auch viele bekannte Autoren diesen Weg gehen.

Wenn das Buch tatsächlich ein Kulturgut bleiben oder wieder werden soll, dann brauchen wir Bücher, die nicht als gut verkäufliche Massenware hergestellt und vertrieben werden, sondern solche, die mit Herz und Verstand geschrieben und verlegt werden und für die es genügend Möglichkeiten gibt, für die Leserinnen und Leser sichtbar zu sein.

Daher brauchen wir wieder einen anderen Blick auf das Buch, wir brauchen die Förderung der kleinen und unabhängigen Verlage und für diese vor allem auch alternative Vertriebswege, die es möglich machen, dass auch ihre Bücher den Weg zu den Lesern finden können.