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Die Kunst der Pause – Der Atem zwischen den Worten

Texte, Geschichten, Literatur brauchen Pausen. Jenen Zwischenraum, in dem so viel mehr geschieht, als man manchmal annehmen mag. Denn Literatur entsteht, ebenso wie Musik, in den Pausen.

Dort holt der Text Atem, hält inne für einen Moment, schenkt Raum. Die Kunst der Pause zu lernen, ist keine einfache Übung. Sie fordert Loslassen, Geschehenlassen, sie bedeutet Hingabe.

Es gibt viele Möglichkeiten, Texten Pausen zu schenken – durch Kommata, Semikola, Punkte, Gedankenstriche, Absätze, Leerzeilen. Verschieden lange Pausen, ähnlich wie in der Musik - Achtelpausen, Viertelpausen, halbe Pausen und ganze Pausen. Oder eine Fermate.

Jeder Text hat seinen ganz eigenen Rhythmus, abhängig von seinem Satzbau und dem damit verbundenen Tempo. Und so braucht er auch seine ganz eigene Pausengestaltung.

In meinen Schreibgruppen sehe ich oft, wie Fließtexte geschrieben werden, ohne Absätze, ohne Pausen. In meinen Online-Kursen bekomme ich häufig Texte, in denen nach jedem zweiten Satz eine Leerzeile erscheint, also die längste Pause, die es in der Literatur gibt, ursprünglich gemacht, um Orts- und Szenenwechsel in längerer Prosa zu markieren. So wird ein kurzer Text auf wenigen Seiten in wie isoliert erscheinende Stücke zerlegt. Sind das Pausen?

Wir leben in einer schnellen Zeit, vielleicht in der schnellsten Zeit, die es je gab. Alles scheint nur einen Mausklick entfernt und wir bewegen uns immer schneller durch unser Leben. Wie gehen wir mit Pausen um?

Dass unsere gegenwärtige Zeit Erschöpfungssyndrome wie Burnout fördert, weil vor lauter Schnelligkeit der Sinn unterwegs verlorengeht, ist bekannt. Pausen im Leben zu machen, ist für viele schwer. Oft sind es dann Zwangspausen, die Körper und Seele einfordern, wenn das Tempo zu hoch geworden ist.

Doch wie geben wir einem Text Pausen? Haben wir noch ein Gefühl dafür, was ein Komma von einem Semikolon unterscheidet? Spüren wir die Pause eines Gedankenstrichs? Texte wollen atmen, sie wollen zwischendurch zur Ruhe kommen, einen Augenblick innehalten. Wir schenken durch Pausen in einem Text Zeit zum Atemholen – dem Text, uns selbst, dem Leser.

Von Lesungen weiß ich, wie schwer es ist, richtig einzuschätzen, wie lange eine Pause zwischen zwei Texten ist. Gerade wenn man vor Publikum steht und liest, braucht es viel Erfahrung und manchmal auch Mut, die Pause für sich stehenzulassen. Denn jede längere Pause erzeugt schnell Unruhe oder Unsicherheit auf beiden Seiten. Da ist dieser anscheinend leere Raum, der sich etwas haltlos anfühlt, so ohne Geländer. Wie stehe ich in der Pause, ohne zu fallen? Auch hier beim Vortragen von Texten schenke ich Raum, wenn ich Pausen mache – Raum zum Nachklingen, zum Nachhören.

Die Pause scheint etwas Beunruhigendes für viele Menschen zu haben, sowohl im Leben als auch in Texten. Was ist da, wenn da scheinbar nichts mehr ist? Ist eine Pause wirklich Leere? Würden so viele Menschen ausbrennen, wenn sie weniger Angst vor diesem Innehalten hätten?

Wenn wir in Texten lernen, Pausen ihren Raum zu geben, dann kann es vielleicht auch besser im Leben gelingen – und andersherum genauso.

Die Pause wirft uns auf uns zurück, sie kann uns nackt machen und völlig neue Erkenntnisse schenken. Denn aus diesem scheinbaren Nichts entsteht plötzlich etwas Neues, es steigen Erkenntnisse daraus hervor, die Pause gestaltet etwas Eigenes.

Viele Menschen lenken sich ununterbrochen ab, vielleicht wissen sie manchmal selbst nicht von was eigentlich. Es gibt nicht wenige Menschen, die jede Pause füllen müssen – das smartphone ist dafür ein Instrument, das bereitwillig jede entstehende Lücke stopft. In jeder kleinen Pause wird es gezückt, um die neuesten Posts auf Instagram zu lesen, Mails zu checken, Pop-up-Nachrichten zu lesen. Man könnte ja etwas verpassen. Oder plötzlich in diesem Nichts stehen, in dieser Pause.
Vielleicht haben wir die Pause in unserer dauerbespaßten Gesellschaft verlernt. Wir brauchen keine Animateure für unsere Freizeit, wir haben ja das smartphone oder tablet. Wer schon einmal für einige Zeit überwiegend offline war, weiß, wie sehr sich das Erleben von Zeit und des eigenen Inneren dann ändert. Man bekommt Zeit geschenkt, alles wird etwas langsamer, die Seele kommt zur Ruhe. Pause.

Texte fordern, wenn wir ihnen beim Schreiben wirklich zuhören, Pausen ein. Wir können ihnen nicht gedachte Pausen aufzwingen, ohne ihre Struktur zu zerstören. Wir müssen hinhören und ihnen dort Pausen geben, wo sie von selbst entstehen.

Gedichte haben ihre ganz eigene Art mit Pausen umzugehen. Sie entsprechen von ihrem Wesen ohnehin eher der Pause als ein Prosatext, indem sie Zeilensprünge haben, den klassischen Satzbau auflösen, irgendwie offen anfangen und offen enden und mit Bildern statt mit Handlung umgehen. In Gedichten sind wir mit Pausen ununterbrochen konfrontiert – vielleicht ein Grund dafür, dass sich ihnen zu widmen oft mit Hemmungen verbunden ist. Sie lassen sich nicht hintereinander weglesen, wie ein Roman heruntergelesen werden kann. Jedes Gedicht steht da für sich, mit einer Pause davor und danach und vielen kleinen Pausen darin. Es will mehrmals gelesen werden, bis sich Schicht für Schicht seine Bedeutung entfaltet, es lässt sich nicht konsumieren. Es ist im besten Sinne altmodisch und kann in der Schnelllebigkeit unserer Zeit etwas verschroben wirken, es sei denn, es erscheint als Slam Poetry, einer Stilrichtung, die auf Beschleunigung im Vortrag setzt.

Vielleicht ist die Kunst der Pause in diesen Zeiten die höchste Kunst.

Weil sie sich querstellt zu allem anderen, weil sie Nein sagt zu dem ganzen immer schneller und immer noch schneller. Weil sie sich nicht dem Zeitgeist anbiedert. Weil sie für sich steht.
Und weil sie ein Spiegel ist, in dem wir uns selbst erkennen können.