· 

Und heute wieder nichts gepostet

Ich versuche die Welt und die Menschen zu verstehen. Vielleicht ein sinnloses, vergebliches und naives Unterfangen. Mal abgesehen von der weltpolitischen Bühne, die man verstehen kann wahlweise als absurdes Theater, hermetische Lyrik oder Trivialroman, scheitere ich bereits am Alltäglichen. Dabei beobachte und studiere ich meine Mitmenschen seit geraumer Zeit. Und bin auch sämtlichen social-media-Kanälen und messenger-Diensten beigetreten.

Ich versuche zu verstehen, warum jemand das Essen auf seinem Teller postet. Warum die Welt wissen muss, wo ich gerade wieder einmal mit der Deutschen Bahn festsitze. Warum es jemanden interessieren könnte, welche Marmelade ich gerade einkoche und an welchem Strand der Welt ich gerade probeliege.

Mein Kontaktkreis – im Digitalen nennt man es wohl Freunde, was ich auch nicht verstehe, da ich die meisten persönlich nicht kenne – ist sehr heterogen: Da tummeln sich Künstler, politische Aktivisten, Märchenerzähler, Literaturagenten, unruhige Ruheständler, Therapeuten aller Farben, Journalisten, Ärzte, Verleger, Fotografen, Kampfkunstlehrer, Angestellte im öffentlichen Dienst, Tänzer u.a..

Und ich studiere, was sie so posten. Die Vorlieben für bestimmte Themen scheinen sehr unterschiedlich.

Erfolge – vor allem Erfolge, die noch keine sind, bevor man sie nicht digital multipliziert und die entsprechenden Likes geerntet hat, die den Dopaminrausch im Gehirn um ein Vielfaches steigern.

Schaut her, welch wichtige Menschen ich kenne, welche Preise ich schon bekommen habe, Küsschen hier, Küsschen da, ich bin wichtig für diese Welt, erfolgreich, schön und bekannt. Das war die Sparte der mehr oder weniger bekannten Künstler, Schriftsteller, Fotografen, Verleger, Literaturagenten. Sie zeigen mir jeden Tag, dass ihr Leben ein Volltreffer ist, ein Jackpot geradezu.

Dann sind da jene, die nicht entsprechende Bühnen im realen Leben zur Verfügung haben, die sie noch einmal ins Digitale spiegeln können – das sind zum Beispiel die Eltern, die ständig Fotos von ihren mittlerweile erwachsenen Sprösslingen posten und dazu schreiben: Alles richtig gemacht. Und es hagelt natürlich Likes, Smileys und Emojis für die Bilder von der wohlgeratenen Brut, die natürlich gut aussehend und erfolgreich in die Kamera lächelt.

Oder jene, die jeden Tag posten, welches außergewöhnliche Menü sie gerade in ihrer heimischen Gourmet-Küche zubereitet haben, Hashtag nice meals. Und jene, die sich in diesem Augenblick fantastisch fühlen am Flughafen in Bali, wieder von der nächsten Weltreise berichtend.

Irgendwie fühlen sich alle fantastisch, gesegnet, dankbar. Wenn ich mir die ganzen Posts, Reels und States anschaue, dann müsste diese Welt voller glücklicher, außergewöhnlicher und erfolgreicher Menschen sein. Nur – auf den Straßen, im Supermarkt, auf der Post, da sind irgendwie andere Leute – aber wahrscheinlich sind das die, die nichts posten und jeden Abend einsam Solitaire auf dem smartphone spielen.

Ich tue mich schwer mit diesem Posten, dem Teilen meines Lebens, und studiere, was geht. Es geht alles, das habe ich mittlerweile begriffen. Vom Tortenstück auf dem Teller, über das Selfie im Flugzeug bis hin zum eigenen Sterben. Es gibt keine Post-Tabus.

Aber was soll das? Warum sollte sich die Welt dafür interessieren, dass ich gerade ein veganes (natürlich veganes) Cordon bleu auf dem Teller habe – außer ich bin so superprominent, dass die Welt meint, jeder Fussel meines Lebens sei von besonderem Interesse.

Leben wir in einer dauerdopaminberauschten Gesellschaft, die ohne dauernde Likes und Hashtags an ihrer eigenen inneren Leere ertrinken würde? Ist unsere Gier nach Anerkennung und Bestätigung – im Buddhistischen nennt man die Gier ein Geistesgift – so groß, dass wir bereit sind, digital Striptease zu machen? Sind wir so einsam, dass wir sonst uns selbst und die Welt nicht mehr ertragen könnten?

In den digitalen Posts ist alles wunderbar, großartig, besonders – wir zeigen der Welt, dass wir es geschafft haben, dass wir dazugehören, dass wir mit dieser Welt nicht nur klarkommen, sondern in ihr tanzen und sie feiern.

Und dann sind da ja noch die ganzen selbsternannten digitalen Gurus – Life Coaches und Mental Coaches und wie Gurus sich heute eben so nennen – die ihr vermeintlich erleuchtetes Gedankengut in die digitale Welt ergießen, wofür ihnen wiederum Tausende folgen. Mit gut frisierten Haaren, umgeben von lichtvollen Bildern, mit weichem Blick und samtiger Stimme erzählen sie täglich, dass wir entscheiden, ob wir glücklich sind oder nicht, denn sie kennen den Weg zum Glück. Und diesen verkünden sie digital und live, werden nebenbei damit sehr reich, und die treuen und euphorisierten Anhänger posten wiederum, wie sie dank ihres Gurus, Entschuldigung, Coaches, endlich verstanden haben, wie das mit dem Glücklich-Sein geht.

Ja, es gibt auch noch ganz außergewöhnliche Phänomene in der Posting-Landschaft – eine Frau postet jeden Tag literarische Minikunstwerke, von seltsamer Melancholie und irritierendem Sprachwitz, hingeworfen in die digitale Welt, mit einer aparten Lässigkeit. Das sind die Ausreißer.

Etwas erschlagen vom Studieren der zahllosen Glücksmeldungen meiner Zeitgenossen sitze ich vor meinem smartphone und starre die Decke an. Ich habe nichts zu posten. Aus Verzweiflung habe ich mir zuletzt eine Stunde lang Postings von Pizza fressenden Waschbären und furzenden Katzen angeguckt. Vermutlich bin ich ein Versager. Eine Zeit lang habe ich den social-media-Account genutzt, um Menschen zum Selber-Denken zu animieren – ich habe kritische Artikel zum Zeitgeschehen geteilt, deren Lektüre dazu führen könnte, dass man Details der Gegenwart in Frage stellt. Das schien mir als sinnvolle Nutzung des digitalen Mediums. Aber seltsamerweise kam es nicht so gut an. Abgesehen von einigen wenigen Ähnlichgesinnten (wer ist schon gleichgesinnt), las diese Beiträge wohl fast niemand, jedenfalls blieb die Anzahl der Likes eher beschaulich, obwohl ich es auf eine beträchtliche Anzahl an sogenannten Freunden gebracht hatte.

Und so sitze ich weiter etwas ratlos vor den Status-Meldungen meiner Freunde – sehe Gemüseeintöpfe, Straßengraffitis, Sandstrände und Geburtstagstische. Und beschließe dann doch hinauszugehen, um stattdessen Bäume, Vögel und den Himmel zu betrachten.

Und wieder hab ich nichts gepostet.