Es hatte sich lange angebahnt. Man wollte mit Rechts nichts zu tun haben. Man demonstrierte gegen Rechts, gründete Omas und Opas gegen Rechts, machte Wahlwerbung gegen Rechts. Rechts ging gar nicht.
Aus einem Kampf gegen Rechtsradikalität oder Rechtsextremismus wurde ein Kampf gegen jedes Rechts. Man musste sich gegen rechts verwehren, davon distanzieren. Rechts war alles, was der Leitmeinung widersprach. Ehe man sich versehen hatte, waren alle Kritiker der Regierung rechts, alle Andersdenkenden, alle überhaupt noch Denkenden. Wer es wagte, ein alternativloses Narrativ in Frage zu stellen, war ebenso rechts wie diejenigen, die für Frieden demonstrierten. In Coronazeiten waren alle Maßnahmenkritiker rechts, also Nazi. Das war praktisch, das ist so undiskutabel, dass man sich mit deren Kritik nicht auseinandersetzen musste. Dass sie in vielem Recht hatten, wie spätestens die RKI-Files offenlegen, bewegte bisher weder Medien noch Politiker dazu, sich bei ihnen für das Rechts-Etikett zu entschuldigen – warum auch, es waren ja jene gewesen, die penetrant nach der Wahrheit suchten, und das war eben rechts.
Wir leben in Zeiten einer alternativlosen Meinung. Es kann nur noch die eine Meinung stimmen – wer andere Meinungen vertritt, das Absolute in Frage stellt, überhaupt noch Fragen stellt – ist rechts. Mal abgesehen von der doch etwas zu groben Vereinfachung rechts, was einmal für konservativ stand, nun mit rechtsextrem gleichzusetzen, bedeutet der Dauerstempel Nazi genau jenes, worüber sich die Auf-der-richtigen-Seite-Stehenden so gern bei allen vermeintlich Rechten aufregen: eine Verharmlosung dessen, was Nazis tatsächlich waren oder sind und damit die Verharmlosung des Holocaust – etwas, was man Corona-Kritikern vorwarf.
Also, Rechts ist böse, rechts muss bekämpft werden, Rechts fasst man nur mit der Kneifzange an. Aber was tun, wenn es dieses Wort nun einmal in der deutschen Sprache gibt? Wenn man gezwungen ist, das Wort rechts zu benutzen? Wenn sich dieses Wort in infamer Weise immer wieder jeden Tag aufdrängt?
Fragen wie „Wollen Sie links oder rechts sitzen?“ „Wollen wir links oder rechts herum gehen?“ „Biegen wir links oder rechts ab?“ werden zu existentiellen Gewissensfragen. Denn niemand will rechts sein, natürlich nicht.
Diese Debatte musste sichtbare Folgen haben. Man konnte nicht nur darüber reden, man musste ein Statement setzen, überall, jederzeit. Und so kam es, dass in Zügen die rechten Plätze von nun an frei blieben, dass in Klassenzimmern keine Schüler mehr auf rechten Seite sitzen wollten, in Flugzeugen nur noch links gebucht wurde und in Hotelzimmern rechte Betten leer blieben. Denn in einer guten Demokratie ist alles ein Statement. Aus sicherheitstechnischen Gründen mussten die Flugzeuge doch wieder anders belegt werden – alle, die bereit waren rechts zu sitzen, konnten wesentlich billiger fliegen. Das Rechts-Überholen, das bisher bis 80 km/h erlaubt war, wurde ganz verboten. Auf der Autobahn fuhren alle von nun an immer links, (wobei man behaupten könnte, das sei schon vorher so gewesen).
Dass die meisten Menschen mit rechts schreiben, wurde von nun auch zu einem politischen Problem – man war sich sicher, dass dies zu einer verborgenen Agenda gehörte, um das rechte Denken durchzusetzen – und so wurden alle Schüler auf links umgeschult. Oder es wurde ganz verboten mit der Hand zu schreiben, um diesem Problem aus dem Weg zu gehen.
Rechts musste aus der Welt. Aber da gab es ja noch dieses Wort. Rechts. Einsilbig, dominant, rechthaberisch und einfach falsch. Da es mittlerweile eine gut funktionierende Sprachpolizei gab, auf die man sich glücklicherweise verlassen konnte, entschied die Gesellschaft für deutsche Sprache, das Wort gänzlich abzuschaffen. Diese Methode hatte sich ja schon in vielen anderen Fällen bewährt. Man hatte in den letzten Jahren haufenweise Wörter verboten, die falsch waren. Und wenn man es schaffte, die Bücher aus Jahrhunderten zuvor entsprechend umzuschreiben, würde man es auch schaffen, ohne Rechts auszukommen.
Wer sagen wollte, was man üblicherweise mit rechts bezeichnete, musste nun anders formulieren: Das war dann die nicht-linke Seite, auf die man wechseln wollte. Oder die andere Seite. Oder das Gegenüber von Links.
Für die Benutzung des Wortes rechts wurden empfindliche Strafen verhängt. Wer ohne Zwangslage das Wort rechts weiterhin benutzte, wurde mit Freiheitsentzug nicht unter drei Jahren bestraft. Solange das Vorhandsein einer Zwangslage nicht geklärt war, mussten Rechtssager von Rechts wegen in Untersuchungshaft sitzen, ebenfalls eine bewährte Methode um renitente Kritiker aus dem Weg zu schaffen. Es wurden zahlreiche Denunziationsportale geschaffen, um Rechtssager jederzeit überall melden zu können. Man wollte wie angekündigt entschieden gegen Rechts vorgehen.
Die Gesellschaft für deutsche Sprache rief einen Wettbewerb aus, in dem die deutschen Bürger Vorschläge für ein neues Wort machen durften, das jenes bezeichnen sollte, was ehemals rechts bedeutet hatte. Man fand das äußerst demokratisch, mit Bürgerbeteiligung ein anders heißendes Rechts zu erschaffen.
Die Ergebnisse sind noch nicht publik, aber man darf auf die Vorschläge gespannt sein. Denn es ist doch völlig richtig, dieses Rechts einfach mal abzuschaffen. Dann ist es aus der Welt, und Links ist dann allein, auch wenn Links dann nicht mehr Links ist und keiner mehr so genau weiß, wo vorn und hinten ist.
Aber irgendwie muss man ja für Moral sorgen. Und das Denken mit der nicht-linken Gehirnhälfte, also jenes assoziative, phantasievolle, bildhafte Denken, das wurde gleich mit abgeschafft. Wer brauchte das denn noch?
So schafften wir es, rechts links liegen zu lassen.