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Kleiner Wutanfall zur aktuellen Verwendung des Partizip Präsens

Liebe Menschseiende, gehören Sie zu den radfahrenden Studierenden oder den studierenden Radfahrenden, die gern auf Demos der Klimaschützenden gehen, um dort gegen Klimawandelverleugnende und CO2-Ausstoßende zu protestieren? Sind Sie auch die auf Fleisch und Auto Verzichtenden, die E-Auto-Fahrenden, mit Wärmepumpen Heizenden, die alles Richtig-Machen-Wollenden, die auf der Gute-Seite-Stehenden? Die gegen rechts Demonstrierenden, die Nicht-Mehr-Wissenden, dass rechts und rechtsextrem zwei paar Stiefelnde, entschuldigung, Stiefel sind?

Dann ist Ihnen sicher jener Teil der Menschen zuwider, die immer noch Autofahrende und Fleischessende sind und Flugreisende und Verbrenner-Liebende und Gasheizende und Maßnahmen der Regierung in Frage Stellende. Die, die sich partout nicht überzeugen lassen wollen, also die Nicht-zu-Überzeugenden, dass Ihre Weltsicht die einzig richtige sei, weil Sie Wissende sind darüber, wie es mit der Welt hier zu machen sei. Sie sind Sich-Aufregende und Empörende über die Kritik Übenden und Skepsis Habenden, über die, die nicht einfach Mitmarschierende sind, die schon als Corona-Leugnende auffielen und über die für Frieden Seienden, die nicht Glaubende sind, dass Waffen friedenbringend seien (richtiges Partizip zur Abwechslung).

Sie würden gern all auf die richtige Linie bringen, so dass wir alle Eine-Meinung-Habende sind, die das eine Narrativ Vertretende, und Richtig-Sprechende, also die Partizip-Präsens-Gebrauchenden? Ich hoffe, es gefällt Ihnen als dort auf der richtigen Seite Stehende, Sich-Selbst-Feiernde, Weltrettende. Sie denken, dass das Weltende (kein Partizip) nahe sei, das wir alle dem Untergang Geweihte (Partizip Perfekt) seien und das Klimaziel sowieso Verfehlende? Sie sind Vertretende der besten Weltuntergangsgeschichten, die Apokalypse Liebenden? Dann können Sie die Weltrettenden sein, die es immer gewusst Habenden, die einfach Besserwissenden, die alles Prophezeienden. Und wenn die Welt dann einmal untergehen sollte, können Sie sich sonnen darin, dass Sie die Recht Habenden waren, auch wenn es Ihnen dann nichts mehr nützt.

Gute Nacht.

 

Ich hoffe, ich konnte Sie überzeugen, dass das Partizip Präsens viel attraktiver ist als das Schluckauf-Gendersternchen.

 

Nachsatz:

Wir erleben derzeit einen inflationären Gebrauch des Partizip Präsens.

Grammatikalisch ist das Partizip Präsens klar definiert: Es wird verwendet, wenn man betonen möchte, dass verschiedene Handlungen gleichzeitig stattfinden oder eine Handlung genau in diesem Moment geschieht. Als Substantiv kann es zur Beschreibung einer Person verwendet werden, die eine Tätigkeit gerade jetzt (!) ausübt.

Im Rahmen der Sprach- und Genderideologie wurde das zuvor eher selten verwendete Partizip Präsens ins Rampenlicht gerückt, indem es nun also bestens geeignet schien, eine geschlechtsneutrale Bezeichung von Personen jedweder Orientierung zu bezeichnen. Dass dies grammatikalisch schlichtweg falsch ist, interessiert die Sprach- und Genderideologen natürlich nicht. Die Studenten, die gerade im Park abhängen, sind keine Studierenden. Und die Radfahrer, die die gerade im Büro sitzen, sind keine Radfahrenden. Und Anwohner, die gerade für ein halbes Jahr im Ausland leben, sind keine Anwohnenden.

Jene Sprach- und Genderideologen, die meinen, die Grammatik einer Sprache eben mal dem Zeitgeist unterwerfen zu können, verwechseln ja auch penetrant Sexus und Genus im Deutschen. Um es noch einmal zu erwähnen: In der deutschen Sprache gibt es ein natürliches Geschlecht (Sexus) und ein grammatikalisches Geschlecht (Genus). So gibt es drei Genusformen (maskulin, feminin, neutrum), aber zwei biologische Geschlechter (männlich und weiblich). Das Genus wird zudem auch für Objekte ohne jede erkennbare Parallele zum natürlichen Geschlecht verwendet: der Herd, die Straße oder das Buch. Während das Genus übergeschlechtlich verwendet wird (der Gast, der Mensch, die Person, die Waise, das Kind, das Individuum), stellt der Sexus eine weitere Aufsplitterung in männlich und weiblich dar. Im Plural wie bei ‚den Kunden’ werden also darunter alle männlichen und weiblichen und sonstigen Kunden zusammengefasst, denn der Sexus ist ein geschlechtsunabhängiger Oberbegriff. Dies nur am Rande.