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Ein offener Brief an die neuen Meinungssetzer

 Liebe vergrünte, bewokte, ich-weiß-dass-ich-auf-der-richtigen-Seite-stehe-Gemeinde,

[Sollte ich jemandem, jemandim, jemandam gerade ausgegrenzt, beleidigt, zum Unwohlsein gebracht haben, tut mir dies aufrichtig leid.]

Ich muss Euch etwas mitteilen: Ich fühle mich unwohl. (Denn ich habe erfahren, dass Unwohlsein das neue Kriterium aller zu beachtenden Inhalte sei.)

Ich fühle mich als Individuum, als freier Mensch, von Euch beleidigt, wenn Ihr mir täglich vermittelt, dass Ihr mich erziehen müsst, weil ich sonst nicht richtig heize, nicht das richtige Auto fahre, nicht richtig wohne, nicht die richtige Meinung zum Krieg in der Ukraine habe, weil ich sonst nicht richtig spreche, weil ich sonst nicht begreife, was moralisch richtig ist.

Ich fühle mich als der Souverän dieses Staates von Euch beleidigt, wenn Ihr mich bis tief in meinen Alltag hinein bevormundet, wenn Ihr Verbote, Zwänge und Sanktionen verhängt, statt auf meine Fähigkeit zu vertrauen, selbstverantwortlich zu handeln.

Sehr unwohl fühle ich mich damit, dass Ihr die Sprache missbraucht, um diese zum Instrument Eurer Ideologie, Eurer Propaganda zu machen. [Es kann sein, dass Ihr Euch mit meinen Aussagen unwohl fühlt. Ich bitte, dies für einen Moment zu tolerieren. Sollte dies nicht möglich sein, die Nummer der Telefonseelsorge ist: siehe Fußnote.]

Ich möchte nicht dazu gezwungen werden, die Sprache zu verhunzen, sie unlesbar und unschreibbar und grammatikalisch völlig falsch zu machen, damit von Euch gesetzte Minderheiten sich nicht unwohl fühlen mögen. Ich bin Schriftstellerin, ich gehe täglich mit Sprache um. Ich möchte nicht, dass mir vorgeschrieben wird, welche Worte ich noch benutzen darf, welche nicht. Ich lehne jede Form einer Sprachpolizei ab und plädiere für die Wiedereinführung der Kunstfreiheit.

Und ich komme nicht umhin zu bemerken, dass Euch lediglich bestimmte Minderheiten interessieren, andere hingegen gar nicht.

Während der Corona-Krise existierten etliche Minderheiten, die massiv diskriminiert und angegriffen wurden, gerade von Eurer Gemeinde, der die Maßnahmen nicht scharf genug sein konnten. Es hat Euch nicht interessiert, wie es Menschen geht, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen können – ihr erklärtet schlicht, die Maske sei allen zuzumuten, in völliger Ignoranz der Tatsache, dass dies nicht stimmt. Es hat Euch nicht interessiert, wie sich Ungeimpfte fühlen, wenn sie als Abschaum der Gesellschaft behandelt und aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt werden. Im Gegenteil, gerade Ihr gabt Dinge von Euch in Richtung der Ungeimpften, die vorher zu Recht als unsagbar galten.

Ihr interessiert Euch nicht dafür, wie es Menschen mit psychischen Erkrankungen in dieser Gesellschaft geht, wie heftig diese stigmatisiert werden.

Damit fühle ich mich unwohl, sehr unwohl.

Wenn Ihr allen Bürgern Lastenfahrräder und die ausschließliche Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel verordnet, indem Ihr das Autofahren und Parken in Städten zunehmend verunmöglicht, dann zeugt dies von enormer Ignoranz gegenüber all denjenigen, die keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen können. Stellt Euch vor, es gibt Menschen, die haben so schwere Krankheiten, dass sie auf das Auto angewiesen sind. Menschen mit schwersten Erschöpfungszuständen, Menschen mit Angsterkrankungen, Menschen mit Sozialphobien und viele mehr. Abgesehen von einem nicht geringen Anteil derjenigen, die nicht in Berlin oder einer anderen Großstadt wohnen und nicht auf ein breit ausgebautes Netz öffentlicher Verkehrsmittel zurückgreifen können. Selbstgerecht in Eurer Berliner Blase sitzend und urteilend kommen diese Menschen in Eurem Entwurf der Zukunft nicht vor. Sind das etwa nicht auch Minderheiten, auf die man Rücksicht nehmen sollte?

Denn all die neuen Sternchen und Doppelpunkte, die nun staatlich verordnet in allen Texten und Reden auftauchen sollen, können nicht darüber hinweg täuschen, dass es in dieser Gesellschaft weiterhin eine starke Diskriminierung von Minderheiten gibt.

Ihr gebt Euch den Anschein der moralisch superkorrekten, klimafreundlichen, engagierten Grüngemeinde, aber Eure Agenda ist korrupt und durchschaubar.

[Es kann sein, dass Ihr Euch mit dieser Aussage sehr unwohl fühlt. Hilfreiche Hotlines siehe unten.]

Ich fühle mich darüber hinaus sehr unwohl damit, dass seit einiger Zeit alle Andersdenkenden in die Schublade ‚Nazis und Antisemiten’ geworfen werden. Dieses Vorgehen, Argumente gar nicht mehr zu prüfen, Sachverhalten nicht auf den Grund zu gehen, sondern einfach den Stempel zu zücken, um alle missliebigen, abweichenden Meinungen zu diskreditieren, erscheint mir dermaßen simpel und dumm, dass es nicht funktionieren kann, doch es gelingt Euch, damit alle Kritik im Keim zu ersticken. Heute sind offenbar alle kritisch und selber denkenden Menschen Nazis oder Antisemiten, ob sie nun gegen Corona-Maßnahmen sind, für Frieden demonstrieren oder selber entscheiden möchten, welche Heizung sie einbauen.

Ich plädiere für die Wiedereinführung der Meinungsfreiheit.

Und ich fühle mich sehr unwohl mit Eurem permanenten Hinweis darauf, wer sich alles unwohl fühlen könnte, wenn ich es versäume, in meinen Texten Sternchen und Doppelpunkte unterzubringen und meine Buchstaben in Regenbogenfarben anzupinseln.

Wo kommen wir hin, wenn wir uns alle immer wohlfühlen sollen? Wenn wir aus Angst vor Fettnäpfchen und Schlipsen permanent nicht sagen, was wir sagen wollen? Wenn wir aus Angst etwas falsch zu machen, gar nichts mehr machen? Wenn wir uns alle in Watte packen, Konflikten ausweichen, damit wir uns nicht unwohl fühlen?

Glaubt Ihr ernsthaft, dass wir als Menschen uns entwickeln können - vorausgesetzt dies ist überhaupt ein Wert für Euch - wenn wir jede Form von Schmerz vermeiden? Wenn wir jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gehen? Wenn wir uns alle immer überall wohlfühlen? Und wenn wir uns überall und jederzeit so wahnsinnig pseudokorrekt verhalten?

Das ist der Tod der Kunst, der Freiheit und des Menschseins.

Ich fühle mich unwohl, wie Ihr als Wolf im Schafspelz daherkommt, wie Ihr Euch im Gewande derer vorstellt, die nur das Gute im Sinn haben, und wie Ihr als selbstgerechte, ideologisch verblendete Fanatiker das Menschsein abräumt.

In der Literatur gibt es den Archetyp des Schattens, des Bösen – eine besonders gefährliche Variante ist der ‚der Gerechte’, den nichts von seinem Ziel abbringen kann, in dessen Augen der Zweck die Mittel heiligt.

So glaubt Ihr, dass Ihr, weil Ihr die richtigen Ziele zu haben meint, alles tun dürft, um diese durchzusetzen. Das Böse kommt bekanntlich immer im Gewand des Guten – bei Euch ist es nicht anders.

Eure Restriktionen, Euer schablonenartiges Denken, Eure Haltung gegenüber den Menschen, gegenüber der Demokratie, gegenüber von Euch ignorierten Minderheiten führt bei mir zu schwerstem Unwohlsein.

Und dies musste nun einfach mal gesagt werden.

[Schwerste Anfälle von Unwohlsein aufgrund dieses Artikels dürfen unter folgender Mailadresse gemeldet werden: ichfühlemichunwohl@freiheitstod.de. Bitte prüfen Sie aber vorher, ob das Melden des Unwohlseins nicht noch mehr Unwohlsein verursachen könnte.]

 

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