Materialisten halten sich für vernünftig. Sie halten allein das wissenschaftlich Beweisbare für wirklich. Sie weisen jedes spirituelle Prinzip zurück und erkennen die Materie als einzige Realität an, auf die sie alles zurückführen. Sie brauchen keinen Gott, keinen Geist, keine Seele.
Es wird heute viel von unserem materialistischen Zeitalter geredet und dabei gehen die Vorstellungen, was Materialismus sei, bunt durcheinander. Was oben beschrieben wurde, ist der Materialismus als philosophische bzw. erkenntnistheoretische Position.
Umgangssprachlich werden Menschen Materialisten genannt, wenn sie sich hauptsächlich über Gewinn und Besitz definieren. Und manche denken bei Materialismus zuerst an den von Karl Marx und Friedrich Engels begründeten historischen oder dialektischen Materialismus, der die Einheit der Welt in der Materie begründet sieht und nach dessen Widerspieglungstheorie die konkrete Wirklichkeit im Bewusstsein des Menschen abgebildet wird.
Ich schreibe hier über den Materialismus als philosophische Position, da dieser unser heutiges Welt- und Menschenbild am meisten prägt. Auch wenn der Begriff des Materialismus erst im 18. Jahrhundert auftaucht, so werden bereits einige antike Philosophen als Materialisten bezeichnet: die ersten Atomisten wie Demokrit oder Leukippos, die Epikureer, für die selbst die Seele materiell ist, und die Stoiker, die davon ausgehen, dass alles, was real ist, auch körperlich sein muss.
Seit ihrer Entstehung in der Antike war die Philosophie von dem Streit geprägt, was das Ursprüngliche sei - der Geist oder die Natur? Der Idealismus und der Materialismus standen sich unvereinbar gegenüber. Friedrich Engels nannte es die große Grundfrage der Philosophie, die nach dem Verhältnis von Denken und Sein.
Mit dem Rückzug der Religion entwickelte sich der Materialismus vor allem im Zeitalter der Aufklärung, u.a. mit La Mettrie, der in seiner Kampfschrift von 1748 ‚Die Maschine Mensch’ das Bild eines auf mechanistische Funktionsabläufe reduzierten Menschen entwickelte und somit als radikaler Materialist alles Seelische und Geistige verleugnete. Er stellte sich auch gegen die Autonomie des Denkens, wie Descartes sie in dieser Zeit behauptete.
Zu jener Zeit ein veritabler Skandal – La Mettrie musste sich ins Exil flüchten - in der heutigen Zeit scheinen die meisten seiner Thesen längst Grundlage unseres Menschenbildes zu sein, wenn das Herz als Pumpe betrachtet wird und psychische Krankheiten als Ungleichgewicht von Botenstoffen im Gehirn angesehen werden.
So wurde im 20. Jahrhundert der Materialismus von der Biologie entdeckt, die die vielfältigen Erscheinungsformen des Lebens auf physikalisch-chemische Stoffwechselprozesse zurückführt, wie auch von der Psychologie bzw. den Neurowissenschaften, wo es die Tendenz gibt, Psyche und Seele des Menschen auf Gehirnaktivitäten zu reduzieren.
Wie brutal ein materialistisches Menschen- und Weltbild sein kann, zeigten uns unverhohlen die letzten drei Jahre der Corona-Pandemie. Mit verstörender Ignoranz wurde das Seelisch-Geistige des Menschen beiseite gewischt und einem Virus der Kampf angesagt. Es war völlig gleichgültig, ob alte Menschen vereinsamt in Altenheimen starben, wenn Kinder im Lockdown schwere Depressionen und Selbstmordgedanken bekamen, wenn sterbende Menschen allein gelassen wurden. Es ging nur noch darum, jede mögliche Ansteckung zu verhindern. Wir wurden darauf reduziert, Virenträger und dadurch eine Gefahr für Mitmenschen zu sein. Es ging allein darum, menschliche Körper frei von Viren zu halten, um jeden Preis.
In dieser Zeit zeigte sich die dunkle Fratze des Materialismus auf besonders hässliche Art. Als Menschen haben wir Angst, wir brauchen Trost, wir brauchen Menschen um uns. Wir sind soziale Wesen, die sich umarmen wollen, die nicht in keimfreiem Abstand sich begegnen möchten.
Menschen, die im Krankenhaus an Corona erkrankten und dann starben, ob nun an oder mit Corona, wurden in schwarze Plastiksäcke gesteckt und wie Sondermüll entsorgt. Jegliches Sich-Verabschieden der Angehörigen, jegliche würdevolle Begleitung wurde verboten. Wenn wir Menschen auf das Körperliche reduzieren, geht die Würde des Menschen verloren. Wir sind dann nicht mehr als eine zufällige Anhäufung von Materie, die irgendwann nach ihrem Ableben hygienisch einwandfrei entsorgt werden muss.
Doch nicht erst seit Corona tritt uns ein solches abgründiges Menschenbild entgegen, auch wenn es sich in diesen Zeiten besonders deutlich offenbart hat.
Gerade in der modernen Medizin hat der Materialismus als Grundlage des Handelns lange um sich gegriffen. Wie viele Menschen fürchten einen Krankenhausaufenthalt, der eigentlich in gesundheitlichen Notsituationen eine Hilfe sein sollte, wissend, dass sie mit Eintritt in ein solches Haus Seele und Geist vor der Tür stehen lassen müssen und von nun an auf ihren Körper reduziert werden. So sehr die Errungenschaften der modernen Medizin beeindrucken mögen, so verstörend sind sie doch zugleich, wenn man sich fragt, was denn mit Menschen geschieht, die sich in ihre Maschinerie begeben. Besonders deutlich wird dieses Menschenbild auch dann, wenn es um Organspenden geht. Die meisten Menschen, die einer Organspende einwilligen, wollen helfen, wollen solidarisch sein, aber wissen nichts über den Vorgang der Organentnahme. Sie wissen nicht, dass sie als Organspender nach ihrem Tod künstlich am Leben gehalten werden, damit die Organe frisch bleiben, was eine Explantation eigentlich bedeutet, dass der Sterbeprozess damit auf eine empfindliche Weise gestört wird.
Es ist die materialistische Denkweise, die dazu geführt hat, dass wir Raubbau an uns selbst und an der Natur betreiben. Oft wurde behauptet, die Ursache dafür seien die Religionen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wo es keinen Geist und keine Seele mehr gibt, gibt es keine Ehrfurcht, kein Mitgefühl, keine Liebe.
Es ist dann gleichgültig, was wir wie zerstören. Interessanterweise glauben viele moderne Naturschützer und Klimaretter auf Grundlage eines Weltbildes, das erst eine umfassende Zerstörung der Natur möglich gemacht hat, die Welt retten zu können.
Erst, wenn wir uns wieder bewusst werden, dass wir mehr sind als ein der Vergänglichkeit anheim gegebener Körper, dass wir nicht von neurophysiologischen Stoffwechselprozessen ferngesteuerte Wesen sind, wenn wir wieder anfangen zu begreifen, was Geboren-Werden und Sterben wirklich bedeuten, dann können wir anfangen, die Welt und uns selber zu retten.
Dann können wir uns ganz im Sinne des indischen Namasté gegenübertreten:
Ich grüße das Göttliche in Dir.
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