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Wenn die Freiheit unfrei wird – Freiheit in der Krise

Freiheit ist sicher einer der schillerndsten Begriffe, die es gibt. Vermutlich gibt es nur wenig andere Begriffe, über die so viele verschiedene Meinungen und Ansichten existieren. Vielleicht noch Liebe. Oder Frieden.

Wie nähert man sich diesem Begriff der Freiheit an?

 

In der Philosophie, (die ich vor vielen Jahren studierte, weil ich glaubte, auf diese Weise Weisheit finden zu können), gibt es einige Kerndisziplinen: Logik, Erkenntnistheorie, Metaphysik, Sprachphilosophie und Ethik.

Man könnte nun eine sehr lange Abhandlung über die erkenntnistheoretische Annäherung an die Freiheit schreiben. Das habe ich nicht vor und verweise diesbezüglich auf ‚Die Philosophie der Freiheit’ von Rudolf Steiner, dem grundlegenden Werk hierzu. Es sei hier nur so viel angemerkt, dass Steiner dort schreibt, dass es unsinnig sei, nach der Freiheit des Willens zu fragen, da es diese nicht gebe, sondern dass nur eine Freiheit der Gedanken existiere, die dann wiederum den Willen impulsieren könne, so dass der Mensch frei handeln kann.

 

Die meisten argumentieren vom ethischen Standpunkt aus, wenn sie über Freiheit reden. Oft zitiert in diesen Zeiten wird der fälschlicherweise Immanuel Kant zugeschriebene Satz: ‚Die Freiheit des einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.’

In Corona-Zeiten bedeutete dies, dass man sich den Maßnahmen kritiklos zu fügen habe, da man sonst die Freiheit der anderen gefährde, indem man schuldig an ihrem Tod werden könnte. Freiheit wurde in Corona-Zeiten ein geradezu anrüchiger Begriff. Freiheit hatte plötzlich etwas mit Egoismus zu tun, Freiheit war unsolidarisch. Irrwitzige Formulierungen machten die Runde wie: ‚Die Maske bedeutet Freiheit’.

Ein Zwang wurde in sein Gegenteil verkehrt. Wer von Freiheit sprach, machte sich verdächtig. Das Wort umgab auf einmal den Nimbus des Unsolidarischen, des Verantwortungslosen, des Verbotenen.

Und so war sich die allgemeine Presse darin einig, dass der Begriff der Freiheit von Querdenkern missbraucht würde und entsprechende Organe kürten dann das Wort Freiheit zur Floskel des Jahres. Wie, Freiheit als Floskel des Jahres? Wo das behauptet wird, muss gewaltig etwas schieflaufen.

 

Abgesehen davon, dass derartiges propagandistisches Sprechen an Orwells Dystopie 1984 erinnert, kennen wir derartige sprachliche Verdrehungen aus den dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte. Die Phrase ‚Arbeit macht frei’ war die Toraufschrift über vielen deutschen nationalsozialistischen Konzentrationslagern, die zynische Beschreibung der Vernichtung durch Arbeit. Und deshalb sollten wir besonders aufmerksam sein, wenn der Begriff der Freiheit in der Politik und in den Medien unterminiert wird, wenn Bürger plötzlich Angst haben, von Freiheit zu sprechen und Freiheit einzufordern.

 

Wie steht es mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Pressefreiheit, wenn plötzlich alle offiziellen Medien alle dasselbe schreiben? Wie steht es um die Meinungsfreiheit, wenn immer mehr Dinge unsagbar werden, wenn es nur noch ein geltendes Narrativ geben soll, wenn Alternativlosigkeit propagiert wird, wenn Menschen mit abweichenden Meinungen öffentlich diffamiert und beleidigt werden?

Wie steht es um die Freiheit, über medizinische Eingriffe in den eigenen Körper selber entscheiden zu können, wenn eine Impfung, die keine ist, politisch erzwungen wird, wenn der gesellschaftliche Druck so groß wird, dass viele glauben, dazu nicht Nein sagen zu dürfen? Wie steht es um die Freiheit der Wissenschaft, wenn es nur noch ‚die Wissenschaft’ gibt, wenn Wissenschaft zum Dogma erstarrt?

Und wie steht es um die Freiheit der Kunst, wenn Bücher, die vor Jahrzehnten erschienen sind, angepasst werden sollen an die heutige Zeit, wenn Worte aus ihnen gestrichen werden, wenn sie den heutigen von einer Minderheit aufgestellten Sprachregeln unterworfen werden?

 

Freiheit ist ein mehr als zweischneidiges Schwert. Über Freiheit kann man trefflich streiten. Und dabei sollte man niemals glauben, dass man als einziger begriffen habe, was wirkliche Freiheit ist. Freiheit müssen wir immer wieder neu suchen und finden. Wir leben in einer Zeit der Krise der Freiheit. Wir müssen über diesen Begriff diskutieren, uns auseinandersetzen, Debatten darüber führen, um wieder neu zu verstehen, was Freiheit eigentlich ist.

 

Als Schriftstellerin kann ich sagen, dass die Freiheit der Kunst für mich grundlegend ist. Dass meine Bücher nicht von einer Sprachpolizei durchforstet werden, ist ein Fundament für mich als Kunstschaffende. Kunst soll verstören, Kunst soll Tabus brechen, Grenzen überschreiten. Wenn sie dem Dogma eines allseits behutsamen Sprechens, das um Gottes Willen niemandem zu nahe treten solle, unterworfen wird, ist es aus mit der Kunst. Verlage, die Bücher aus dem Programm nehmen aus Angst, sie könnten damit irgendjemandem irgendwie auf den Schlips treten, haben nicht verstanden, was Literatur ist.

Wo die Freiheit der Kunst stirbt, stirbt die Freiheit der Gesellschaft. Vielleicht erst einmal ganz unbemerkt und leise, aber sie stirbt. Und das dürfen wir nicht zulassen.

 

Es scheint, als wäre eine Angst vor der Freiheit entstanden.

Nach drei Jahren gepredigter Alternativlosigkeit wollen viele die Freiheit weniger als je zuvor. Denn Freiheit fordert eigene Entscheidungen, fordert Mut zur Initiative, fordert Eigenverantwortung – alles Dinge, die in den letzten Jahren nicht so en vogue waren. Wie schaffen wir es, dass es wieder mehr Mut zur Freiheit gibt? Dass die Menschen sich nicht beliebig vorbeten lassen, was sie zu denken, zu tun und zu lassen haben?

 

Freiheit ist immer ein Wagnis. Das hat die Freiheit der Wissenschaft wieder und wieder gezeigt. Sie kann neben für die Menschheit segensreichen Erfindungen auch zur Atombombe oder zur Klonung des Menschen führen. Muss die Freiheit irgendwo enden? Oder muss vielmehr irgendwo die Verantwortung beginnen? Und wie verhält es sich mit der Verantwortung in einem profitgetriebenen Wirtschafts- und Politikgeschehen?

 

Ist Freiheit über das eigene Handeln selber entscheiden zu können?

Ist Freiheit das Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Hat Freiheit einen Preis?

Es ist sicher eines der häufigsten Missverständnisse, dass Freiheit Grenzenlosigkeit bedeutet, dass wir dann frei seien, wenn wir ohne jegliche Einschränkungen seien. Grenzenlosigkeit bedeutet auch Strukturlosigkeit und birgt die Gefahr des Selbstverlustes. Als Menschen sind wir nicht unbegrenzt – wir werden geboren, wir sterben, unser sterblicher Körper begrenzt uns. Wir sind natürlichen Rhythmen und Prozessen unterworfen.

 

Gerade in der Beschränkung, in der bewussten Reduktion kann eine neue Freiheit entstehen. Und damit meine ich eine selbst und freiwillig gewählte Begrenzung. Nicht aufoktroyierte Beschränkungen wie in den Corona-Zeiten, die manche dann glaubten, sich selbst als neu gewonnene Freiheit verkaufen zu müssen.

In der Kunst kann ich mich beschränken, indem ich nur mit einer Farbe male, oder indem ich beim Tanz nur noch die Arme bewege, und in dieser Begrenzung werde ich Entdeckungen machen, die ich niemals gemacht hätte, wenn mich nicht begrenzt hätte.

Wenn mir meine äußere Freiheit genommen wird, weil ich im Gefängnis oder in der geschlossenen Psychiatrie sitze, kann ich vielleicht die innere Freiheit entdecken, die ich mir vorher nicht bewusst gemacht habe. Ähnlich bei Menschen, die durch Handicaps oder Erkrankungen in ihrem Bewegungsradius begrenzt werden, sei es durch eine Querschnittslähmung oder eine Angsterkrankung, und die lernen können, was Freiheit innerhalb eines eng gesetzten Rahmens bedeuten kann.

Ist der Freitod wirklich frei, wenn man berücksichtigt, dass die meisten Menschen vor ihrem Suizid an Depressionen litten, dass ihr Blick dadurch eingeengt war und sie nur noch einen Ausweg sahen?

 

Wie oft gaukeln wir uns vor frei zu sein und sind es nicht?

Wir sehr sind wir gefangen in unseren Gewohnheiten und Denkmustern? Wie sehr halten uns unsere Projektionen gefangen, wenn wir die Außenwelt zum Spiegel unseres Inneren machen?

Viele Menschen wollen in diesen Zeiten für die Freiheit eintreten, und doch legen sie ihrem gesamten Denken ein Raster zugrunde, ein Erklärungsmodell darüber, wie die Welt beherrscht wird, wer sie zukünftig beherrschen wird, wie die Zukunft zwangsläufig aussehen wird.
An dieser Stelle ist die Freiheit längst verloren.

 

Es gibt verschiedene Tendenzen der Gegenwart, es gibt Entwicklungen in bestimmte Richtungen, es gibt statistische Wahrscheinlichkeiten, es gibt Naheliegendes, es gibt Intentionen bestimmter Institutionen und Gruppen – aber all dies führt nicht dazu, dass wir wissen, wie die Zukunft sein wird. Interpretationen gegenwärtiger Entwicklungen, die in die Zukunft projiziert werden, bleiben Interpretationen. Niemand kann genau vorhersagen, wohin wir uns in den nächsten hundert Jahren als Menschheit entwickeln werden.

 

Es liegt an uns. Es ist unsere Freiheit, diese Zukunft zu gestalten. Jeder einzelne von uns kann dabei mitgestalten, gleichgültig welchen Platz er gerade in seinem Leben einnimmt. Wenn wir aufhören, uns von unseren Ängsten und Spekulationen die Freiheit nehmen zu lassen, werden wir wieder Gestalter. Gestalter der Zukunft und Gestalter der Freiheit.

 

 

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