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Der vermeintliche Schlüssel

Die Suche nach dem richtigen Weg, nach dem erleuchtenden Pfad ist letztlich die Suche nach der Wahrheit und so alt wie die Menschheit.

Mit der Vorstellung, den zur Wahrheit führenden Weg gefunden zu haben, sind tragische Irrtümer verknüpft, die eine mit besten Intentionen begonnene Reise oft mehr im Nebelland enden lassen denn im Reich der Erkenntnis.

 

In Coronazeiten sind es die bekannten Lager: Auf der einen Seite diejenigen, die auf ‚die Wissenschaft’ und ‚die Experten’ pochen, die Maßnahmenbefürworter, die die Maßnahmen für alternativlos halten und auf der anderen Seite die Maßnahmenkritiker, die auf die Kollateralschäden durch Lockdowns und Maskenpflicht hinweisen, die Schaden an der Demokratie durch Einschränkung der Grundrechte fürchten. Die einen, die Freiheit für gefährlich halten, und die anderen, die Paternalismus kritisieren. Die einen, die dem Staat vertrauen, und die anderen, die hinter dem Handeln der ‚politischen Elite’ transhumanistische Machenschaften des WEF vermuten. Beide sind überzeugt, dass sie Recht haben.

 

Die Grabenkämpfe, die wachsende Spaltung in ihrer destruktiven Dynamik sind wenig originell. Pierre Pihet weist in seinem Buch: ‚Corona und die ewige Wiederkehr des immer Gleichen’ auf Paul Watzlawicks Darstellung solcher Prozesse hin: Die mit der anderen Meinung sind dann unfähig, böswillig oder verrückt. Nach dem ersten Vorwurf, dass der andere noch nicht so weit sei, die richtige Sicht zu haben, folgt schnell der Vorwurf, der andere wolle gar nicht einsehen, er lebe in seiner Blase, um dann das Ganze im dritten Vorwurf zu steigern: Der andere sei durch gar keine Evidenz zu überzeugen, müsse also psychisch angeschlagen sein.

Das englische Sprichwort: ‚Bad oder mad’ fasst dies prägnant zusammen.

 

Wenn man nun von Corona einmal absieht und sich in anderen Bereichen umschaut, findet man immer wieder dasselbe Muster, egal ob man sich im Bereich der sog. Wissenschaft oder im Bereich von religiösen Gemeinschaften bewegt.

 

Mich hat von jeher interessiert, was die Welt im Innersten zusammenhält, was Sinn und Erkenntnis bedeuten. Und auf der Suche nach Antworten habe ich mich in ganz unterschiedlichen Lebensfeldern getummelt. So studierte ich zunächst sowohl Naturwissenschaften als auch Geisteswissenschaften und merkte bald, dass der Begriff der Wissenschaft sehr unterschiedlich sein kann.

Später studierte ich asiatische Heil- und Kampfkünste und stellte fest, wie viele dort glauben, den Schlüssel zur Wahrheit gefunden zu haben. Es scheint etwas sehr Menschliches zu sein, den Weg, den man selbst für bereichernd oder beglückend hält, schnell zu dem allgemein glückselig machenden Weg zu erklären.

Ich lernte in buddhistischen Gemeinschaften viel über einen spirituellen Schulungsweg und zugleich viel über die Falle der Selbsterhöhung. Mit der Vorstellung, den Schlüssel zur Erkenntnis in der Hand zu haben, geht fast immer die Selbstüberhöhung einher. Man gehört dann zum Kreis der Auserwählten, die das Glück, das Karma, den Verdienst haben, auf diesem Weg praktizieren zu dürfen.

Und dies gilt durchaus ebenso für wissenschaftliche Gemeinschaften an Universitäten wie für religiöse Gruppen – nur die Bezeichnungen werden jeweils anders gewählt.

 

Der Idee einer intellektuellen, spirituellen oder anderen Elite anzugehören, führt zu einer Abschottung und den damit entstehenden Machtstrukturen. Man hat den Schlüssel in der Hand, um die Entwicklung der Menschheit maßgeblich voranzutreiben, um die Erleuchtung zu erlangen, um die Wahrheit zu erkennen.

Dabei muss man immer wieder fein säuberlich trennen zwischen dem, was in einer Lehre, wie beispielsweise dem Buddhismus oder dem Christentum, enthalten ist und was die praktizierenden Menschen daraus machen. Oft werden vorschnell Urteile über eine Lehre gefällt aufgrund dessen, was vermeintliche Anhänger mit ihr anstellen, doch oft hat die Lehre wenig mit dem zu tun, was die in ihrer Selbstüberhöhung und damit in ihrem Ego gefangene Menschen daraus machen.

 

Wenn ein Schulungsweg, welcher Couleur auch immer, nicht mit entsprechender seelisch-geistiger Reflexion einhergeht, gerät das eigentliche Ziel in unerreichbare Ferne, nämlich Erkenntnis zu gewinnen, und wird zunehmend durch Selbstbeweihräucherung ersetzt. Mit dem vermeintlichen Schlüssel in der Hand sind Menschen dann über jede Kritik erhaben, denn die anderen sind eben noch nicht so weit an ihrer Sicht teilzuhaben. Und in diesen erlauchten Gesellschaften pflegt man dann mehr sein Ego, als dass man sich irgendeiner Form von Erkenntnis annähert.

 

Und das ist durchaus tragisch, denn am Anfang stand die Suche nach etwas Großem, nach einem Ideal, man möge es Sinn oder Gott oder Erkenntnis oder Wahrheit nennen, aber dann verhedderte man sich in den Maschen jenes kleinen Ichs, das etwas Besonderes sein will, dass auserwählt sein möchte und dabei vergisst, dass die angetretene Suche vor allem eines verlangt: Ehrlichkeit und Demut.

Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber und damit die Bereitschaft, jenen Hang zur Selbsterhöhung zu erkennen und bewusst abzulegen. Und Demut im besten Sinne - wissend um die eigene Begrenztheit.

 

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