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Der Stolz der Angepassten

 In letzter Zeit häufen sich die Mitteilungen meiner Zeitgenossen, dass sie zu Hause bei 19 Grad leben. In ihrer Stimme schwingt der Stolz darauf mit. Und ich bin jedes Mal irritiert, leicht verstört von dieser Art von: Ich halte mich an Regeln und ich teile es auch jedem mit, (der es wissen oder nicht wissen will).

Kein Mensch hat früher darüber geredet, ob er sein Wohnzimmer auf 18 Grad, 20 Grad, 22 Grad oder 25 Grad heizt. Denn das Temperaturempfinden ist bekanntlich sehr verschieden bei den Menschen und auch bei ein und demselben Menschen nicht tagtäglich gleich. Und ich rede hier nicht von den Menschen, die es sich wegen der stark gestiegenen Energiekosten einfach nicht mehr leisten können zu heizen.

Ich lächele also mehr oder weniger freundlich und ignoriere die unterschwellige Aufforderung auch meine Temperaturzone mitzuteilen. Ist das auch typisch deutsch? So wie der ganze Gender-Kultureller-Aneignungs-Wahnsinn beziehungsweise so wie deutsche Regel- und Verbotslust?

In Coronazeiten begegnete ich regelmäßig Menschen, die sich vor mir aufbauten und sagten: Ich bin geimpft. Und ich stand da, genauso verstört wie jetzt bei den Temperaturmitteilungen, ignorierte genauso die darin vorhandene Aufforderung mich ebenfalls zu meinem Impfstatus zu outen und quetschte bestenfalls noch ein ‚Aha’ heraus. Als mir eine potentielle Kundin ihren Impfstatus bei Anmeldung per Mail bereits mitteilte, konnte ich es mir nicht verkneifen zu schreiben: Der Impfstatus meiner Kunden hat mich in der Vergangenheit nicht interessiert und interessiert mich auch jetzt nicht. Das war es dann mit potentieller Kundin.

Aber wieso drängen mir die Mitmenschen seit neuestem Informationen auf, die ich wenn nicht für intim, dann doch für mindestens persönlich halte?

Hierzulande scheint es notwendig, nicht nur sich dem medial und politisch erzeugten Konformitätsdruck stets zu beugen, sondern dann die Anpassung auch noch stolz zu verkünden, als hätte man gerade eine Ehrenurkunde bei den Bundesjugendspielen erhalten.

Selbstwert scheinen viele daraus zu ziehen, dass sie sich an Regeln und Gebote halten, völlig gleichgültig, ob diese sinnvoll sind oder nicht. Wir haben ja mehrere Jahre gelernt, ‚solidarisch’ zu sein, (auch wenn die meisten dabei völlig vergessen haben, dass solidarisch nicht dasselbe ist wie angepasst oder gehorsam oder nicht mehr selber denkend).

Zu Beginn der Corona-Zeit sagten diese ‚Ich trage Maske’, auch wenn es noch nicht Pflicht ist. Sie gefielen sich darin, noch etwas angepasster, noch etwas gehorsamer zu sein. Diese Form von Stolz auf Anpassung ist mir zugegebenermaßen fremd. Jeder soll entscheiden, wie er sich verhält, aber er muss sein Verhalten dann weder der gesamten Umwelt mitteilen noch seine Anpassung nutzen, um den eigenen Selbstwert aufzumöbeln.

So kann die Liste der ‚Ich-bin-der-bessere-Mensch-Aussagen’ beliebig erweitert werden: Ich fahre E-Auto, Ich gendere meine Texte und Aussagen, Ich benutze kein Flugzeug mehr, Ich bin für Waffenlieferung in die Ukraine…. - vermutlich eine endlose Liste.

Politik und Medien haben uns ja zur Genüge eingetrichtert, was wir zu denken, zu sagen und zu tun haben. Wir leben in einer bestens betreuten Gesellschaft – uns wird wahrlich alles abgenommen. Wir brauchen gar keine eigenen Entscheidungen mehr treffen, wir brauchen uns nicht überlegen, wie wir uns positionieren wollen, ob wir dafür oder dagegen oder etwas anderes sind, denn die moralisch einwandfreien Positionen, mit denen wir uns bedenkenlos umgeben können, werden uns dankenswerterweise alternativlos vorgelegt.

Meine Zeitgenossen versuchen sich nun auch darin zu übertreffen, wer es kälter daheim aushält. So hörte ich Gespräche im Supermarkt, in denen man sich versuchte zu überbieten. Man konkurriert darum, wer der bessere Mensch ist. Und das ist zweifellos jener, des es schafft sich einzureden, dass es sich doch auch bei 17 Grad noch ganz gemütlich auf dem Sofa chillen lässt.

Und wir haben die staatlichen Betreuer, die uns in unserem Gut-und-Besser Sein motivieren: Man kann ja auch mal zwei Pullover anziehen oder ein paar Kniebeugen machen…. oder den Waschlappen benutzen. Ach, das war jetzt eine andere Nummer, die mit dem Duschen.

Das wäre dann die nächste Aussage meiner Zeitgenossen: Ich dusche nur noch einmal pro Woche - mit vor Stolz geschwollener Brust. Und ich verspreche: Ich werde dann Bravo rufen und klatschen.

 

 

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