Achtung, Sie betreten jetzt die deutschen Denkverbotszonen. Sie können viel falsch machen, sehr viel. Man sagt heute nicht mehr so einfach etwas daher. Man muss gut überlegen, was man sagt und tut.
Daher gibt es an dieser Stelle heute einen kleinen Leitfaden für diskriminierungsfreies, gendersensibles, klimagerechtes, kulturempfindsames Sprechen und Handeln.
Wenn Sie vor einer Gruppe von Menschen sprechen, sprechen Sie alle an, also wirklich alle, damit sich niemand von Ihnen diskriminiert fühlt. Fügen Sie möglichst viele i’s und Pausen und etwas Schluckauf ein, dann könnte es klappen. Wenn Sie denken, dass es grammatikalisch falsch sein könnte, vergessen Sie es.
Grammatik steht in der neuen sprachlichen Normenhierarchie ganz unten. Hauptsache, Sie treten auf keinen Schlips und in kein Fettnäpfchen – und davon sind viele ausgelegt bzw. aufgestellt.
Bitte sagen Sie nicht Studenten, und auch nicht Studentinnen – das heißt heute Studierende. (Ja, auch grammatikalisch völliger Unsinn – das Partizip Präsens heißt bekanntlich, dass die Tätigkeit während des Sprechens stattfindet. Ein Student, der am Samstagabend Party macht, ist kein Studierender. Aber wie gesagt, Logik und Grammatik rangieren derzeit ganz weit unten).
Man fordert Sie dazu auf, Geflüchtete zu sagen, statt Flüchtlinge. Flüchtlinge sei abwertend. Hat jemand behauptet. Und dann ist das so. Allerdings hat sich das Uno-Flüchtlingshilfswerk nun dagegen ausgesprochen. Denn geflüchtet kann man sein vor einem Regenguss, vor einer nervigen Familienfeier oder aus dem Gefängnis. Flüchtling hingegen sei ein geschützter Begriff, der durch die Genfer Flüchtlingskonvention seit mehr als siebzig Jahren definiert sei. Sie sehen, es ist kompliziert. Man will alles richtig machen und dann macht man prompt alles falsch.
Kaum verlassen Sie den unebenen Boden der geschlechterneutralen Ansprache, da landen Sie schon mitten im Sumpfland der kulturellen Aneignung.
Gehen Sie nicht mit Rastalocken auf die Bühne. Das Konzert wird abgebrochen werden. Verkleiden Sie sich nicht als Indianer, falls Sie zum Karneval gehen. Der Rosenmontagsumzug muss wegen Ihnen abgebrochen werden. Denn Sie betreiben kulturelle Aneignung und das ist in Deutschland strengstens untersagt.
Also, keine Rastalocken, kein Indianerkostüm, keine schwarze Schminke. Natürlich auch nicht in einer Sambaband spielen, keine Reggae-Musik hören, nicht indisch essen gehen, kein Taijiquan lernen, kein Yoga machen – das ist alles sehr inkorrekt. Sie beleidigen damit die Gefühle der Menschen, aus deren Land dies alles kommt. Verstanden?
Was dann übrig bleibt, fragen Sie? Gutbürgerliches deutsches Essen, klassische deutsche Frisuren, deutsche Musik, deutscher Sport. Das klingt doch etwas nach einer bekannten Geschichte aus dem letzten Jahrhundert, erwidern Sie? Das klingt nach sehr merkwürdigen reinrassigen Idealen? Ja, das stimmt. Das ist die Merkwürdigkeit dieses woken Wahnsinns – wenn Sie ihn zu Ende denken, landen Sie genau dort, was diese woken very correct people (WCVP) so unbedingt vermeiden wollen.
Nunja. Ansonsten, streichen Sie das Z. Am besten ganz. Es ist prorussisch und zu verachten. Keine Firmenname mit einem Z. Kein Autokennzeichen mit Z. Kein Name mit Z. Am besten gar kein Z mehr. Sonst sind Sie Putin-Versteher, und das wollen Sie doch nicht, oder?
Ist doch alles ganz einfach, oder?
Ich gebe zu, manchmal verhake ich mich in den ganzen Netzen und Zäunen der Denkverbote. Man ist nicht mehr so ganz frei wie vorher. Mit der Kreativität ist es durchaus schwierig geworden, die von Freiheit und Wildheit und Grenzüberschreitungen lebt. Daher müssen wir auf die Kreativität ab jetzt verzichten. Aber ein paar Opfer muss man ja bringen, nicht wahr?
Gutes Vorankommen!
p.s. Es könnte sein, dass nicht alle Korrektheiten in diesem Artikel korrekt sind.
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