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Wenn Haltung sichtbar gemacht werden muss

Wir leben in einer moralisch hochaufgeladenen Zeit.

In Corona-Zeiten wurde ganz klar unterteilt in die Solidarischen, die alle Maßnahmen guthießen und ihnen folgten, und in die Unsolidarischen, für die man viele verschiedene abwertende Stempel erfand. Ähnlich moralisch aufgeladen sind die Diskussionen um den Klimawandel, um den Ukraine-Krieg und um das Gender-Thema. All diesen Themen ist gemein, dass der Umgang mit ihnen auffällig von einer Notwendigkeit der Sichtbarmachung der ‚richtigen’ Haltung dazu verbunden ist.

Insbesondere bei dem Thema Gendern geraten wir an einen heiklen Punkt, denn hier soll Ideologie in der Sprache sichtbar gemacht werden und dabei schon beim Sprechen und Schreiben offenbart werden, wer Freund, wer Feind ist. Dieses Sichtbarmachen von Haltung in der Sprache ist ein typisches Zeichen totalitärer Systeme. Wer heute nicht die sogenannte ‚diskriminierungssensible Sprache’ verwendet, outet sich sofort als ewig gestrig, verbohrt, konservativ, vermutlich als auch potentiell rechts und querdenkerisch.

Dabei kann man nicht oft genug betonen, dass gerade hier ein eklatantes Missverständnis vorliegt, da es in der deutschen Sprache ein natürliches Geschlecht (Sexus) und ein grammatisches Geschlecht (Genus) gibt. Beides wird von den Gender-Ideologen gern verwechselt bzw. wild durcheinander geworfen. Ohne diese sprachwissenschaftlichen Grundlagen weiter vertiefen zu wollen, zeigt sich hier sehr deutlich, was geschieht, wenn Ideologie sich der Sprache bemächtigt.

Die Sprache ist für Ideologen ein zentraler Ausgangspunkt, um ein bestimmtes Narrativ in den Köpfen der Menschen zu verankern, und Sprache wird auf diese Weise zum Macht- und Propagandainstrument. Die Absurdität der ganzen Genderdiskussion wird besonders daran deutlich, wenn Kinderbücher im Nachhinein ‚gegendert’ werden, wenn bestimmte Bücher als nicht mehr lesbar gelten, weil sie Genderklischees bedienen würden.

Zunehmend zu beobachten ist in diesen Tagen die Zweiteilung von öffentlicher und privater Meinung, ebenfalls ein typisches Merkmal totalitärer Systeme. Die Menschen werden vorsichtig, was sie öffentlich äußern – es gilt hier, dem offiziellen Narrativ zu folgen, das heißt, die Corona-Maßnahmen richtig zu finden, im Ukraine-Konflikt zwischen dem bösen Russland und der guten Ukraine zu unterscheiden, auf jeden Fall korrekt zu gendern und auf keinen Fall anzuzweifeln, was zum Thema Klimawandel in den sog. Leitmedien verkündet wird.

Man weiß mittlerweile, dass eine kritische Meinung Konsequenzen haben kann, dass man im Zweifel Probleme bekommt, sei es am Arbeitsplatz, im Verein, in der Familie.

Man heizt nicht höher als 19 Grad und tut dies auch entsprechend kund. Man fährt natürlich Elektroauto, wie es sich gehört (dass es sich um verstromtes Gas handelt, dass man da so grün verfährt, ist unwichtig). Man baut sich Solaranlagen auf das Dach. Man trennt seinen Müll. Man trägt Maske. Man schweigt. Man pflegt sein grünes Image und gehört zu den Guten, zu denen, die auf der richtigen Seite stehen.

Auch die Maske in Corona-Zeiten wurde zu einem Attribut dafür, ob man auf dieser richtigen Seite steht oder nicht, ob man dem Narrativ der Regierung folgt oder nicht – das zeigt die Unerbittlichkeit rund um dieses Thema. Menschen, die keine Maske tragen können, waren nicht vorgesehen. Die Maske war jedermann zuzumuten, und wer es wagte, ohne dieses Accessoire auf die Straße zu gehen, musste mit entsprechender Lynchjustiz rechnen, teilweise bis heute in entsprechenden Einrichtungen, wo die Maske weiterhin vorgeschrieben ist.

Abweichler, die nicht tun, was alle tun, die sagen, was man nicht sagen darf, konnten in einer Corona-Gesellschaft nicht mehr toleriert werden. Sie mussten mit allen Mitteln bekämpft werden, sei es durch den Ausschluss aus der Gesellschaft bis hin zur Drohung der Verweigerung einer Krankenhausbehandlung oder gar der Androhung einer Beugehaft.

Und dann sollen wir nun freundlich lächeln, wenn ein Herr Kretschmer sagt, dass nicht alles richtig war, aber wir wieder nach vorn schauen müssen?

Nein, wir dürfen nicht vergessen. Wir dürfen nicht darüber hinweggehen. Wir müssen hinsehen, den Schmerz noch einmal spüren, den Schmerz all derjenigen, die keine Chance und keine Lobby hatten.

Es ist unsere Verantwortung und unsere Pflicht, uns noch einmal bewusst all dem zu stellen, was in den letzten Jahren passiert ist, egal auf welcher Seite wir standen.

Es gibt Wunden aus dieser Zeit, die vielleicht nie heilen werden. Auf jeden Fall gibt es jede Menge Einzelschicksale, die nicht ungehört verhallen dürfen.

Und vor allem dürfen wir uns nicht verführen lassen mitzumachen angesichts eines ständig steigenden Konformitätsdrucks, dass wir unsere gute Haltung überall sichtbar machen müssen, sei es in der von uns verwendeten Sprache, in den Dingen, mit denen wir uns umgeben oder hinsichtlich der Menschen, mit denen wir sind.

 

 

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