· 

Wir Blasenbewohner

Hallo, wie geht es Ihnen in Ihrer Blase? Sie leben in keiner Blase, sagen Sie entrüstet? Sind Sie sicher? Denken Sie, es gibt jemanden, der keine Blase bewohnt?

Die Blasen, die wir bewohnen, können ja ganz unterschiedlich aussehen. Es gibt die neblig-grauen Mainstream-Blasen, es gibt kunterbunte, eigenwillige Blasen, es gibt welche mit mehr oder weniger freier Sicht, aber es sind eben alles Blasen. Der Vorteil von Blasen: Man ist darin sicher, geschützt, zumindest scheinbar. Die Welt bleibt etwas auf Distanz. Und wir kennen sie.

Unsere Blase ist unser Narrativ. Manche wohnen in der Blase, dass Corona sehr gefährlich ist, dass man Masken tragen muss und dass die mRNA-Impfung der Weg aus der Pandemie sei. Andere wohnen in der Blase, dass dies alles schon von langer Hand geplant, dass es der Beginn des great reset sei und dass wir finsteren Zeiten entgegengehen. In manchen Blasen ist die Rede von Chemtrails und Bevölkerungsreduktion. In wiederum anderen Blasen spricht man von dem Erwachen der Menschheit an diesem Punkt und von dem großen Licht, dem wir dadurch entgegengehen.

Unsere Blase ist unsere Kirche. Wir glauben an unser Narrativ. Wir beschwören es geradezu. Nur so und nicht anders. In Corona-Zeiten werden viele zu Predigern, die es vorher nie sein wollten. Andere werden zu Demagogen, entdecken ihre Lust daran, Menschen zu verführen. Wir glauben, was wir uns selber erzählen. Wir erfinden die Geschichte, die wir unser Leben nennen.

In manchen Blasen werden Helden geboren, die sich mit Verve in den Kampf gegen den Untergang begeben. In anderen Blasen leben Denunzianten, die glauben, dass Solidarität dasselbe sei wie Verrat.

Unsere Blase ist die Brille, durch die wir die Welt sehen. Und damit ist die Farbe unserer Blase entscheidend für unsere Handlungen. Sie entscheidet darüber, ob wir kämpfen, erstarren oder fliehen, ob wir Heldenmut beweisen oder Denunzianten werden.

Wenn Bewohner verschiedener Blasen aufeinander treffen, wird es schwierig. Denn beide entstammen der Wahrheitsblase, beide meinen zu wissen, wie es ist, warum es alles so gekommen ist und wie es weitergehen wird. Hier beginnt der Krieg. Der Krieg gegen die andere Blase. Es wird zu allen Mitteln gegriffen, um die Bewohner anderer Blasen zu zerstören.

Blasenbewohner halten sich für Gott. Scheint zumindest so. Denn sie glauben, die eine Wahrheit zu kennen, zu wissen, was richtig und falsch ist. Und sie dulden keine anderen Götter neben sich.

Es ist interessant zu sehen, wie sich alle zur Wahrheit aufschwingen. Obwohl wir doch eigentlich schon lange wissen sollten, dass es mit der Wahrheit so eine Sache ist - je nachdem wer den Elefanten von welcher Seite wie berührt.

Wir Blasenbewohner bleiben gern unter uns. Da stört zumindest keiner. Und erzählt irgend etwas, was von vornherein nicht stimmen kann. Wir irren uns nicht. Nie.

Unser Gottesdienst sind die täglichen Nachrichten, produziert in unserer Blase. Je nachdem, lauschen wir der Tagesschau oder Telegram.

Und nun schreibe ich dies alles als Blasenbewohner, der meint, andere Blasen beobachten zu können. Heikle Angelegenheit, oder?

Ich habe festgestellt, dass man manchmal eine Nadel nehmen muss, um die Wand der eigenen Blase zu durchstechen, und dann doch den schier unmöglichen Versuch unternehmen muss, den anderen Blasenbewohnern zu begegnen, sich das scheinbar Unmögliche anzuhören und dann vom Blasenbewohner zum Blasenwanderer zu werden. Statt Prediger Zuhörer zu werden.

Um zu staunen über die vielen Ideen, Meinungen, Erklärungsversuche in diesen schwierigen Zeiten. Und zu sehen, was da entstehen will.

 

 

© all rights by gyde callesen

Jede Vervielfältigung, ob analog oder digital, ist verboten.