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Das Verschwinden der Kultur im Dunklen

Von den wenigsten bemerkt werden wir gerade Zeuge eines Verschwindens des Kulturlebens. Langsam, unmerklich.

Während der sog. Corona-Pandemie wurde das Kulturleben für nicht systemrelevant erklärt. Theater, Konzerthäuser, große und kleine Bühnen mussten schließen. Gerade für kleinere Kulturstätten und für Solokünstler, die nicht staatlich subventioniert werden, war die monatelange Schließung ein Knockout. Schon vorher war es schwer bis kaum möglich, ein freies Theater kostendeckend zu finanzieren, schon vorher kämpften soloselbständige Maler, Musiker, Tänzer um das finanzielle Überleben. Viele von letzteren sind angewiesen darauf zu unterrichten, um ihre Miete bezahlen zu können. Aber auch die Weitergabe künstlerischer Fähigkeiten im Kontext von kultureller Bildung durfte nicht mehr stattfinden. Die wenigsten Menschen haben sich klar gemacht, dass diese Soloselbständigen durch jedes Raster der staatlichen Hilfen fielen und keinerlei Corona-Hilfen bekamen. Eine prekäre Lage.

Jetzt scheint ja alles wieder gut zu sein. Man kann wieder ins Theater gehen, in eine Lesung, zum Konzert. Doch die Publikumsreihen bleiben oftmals leer.

Aufgrund exorbitant gestiegener Energiepreise und der Inflation aufgrund des Ukraine-Krieges müssen die Menschen sparen. Man leistet sich nur noch das, was man unmittelbar zum Überleben braucht – Essen, Hygieneartikel und Energie. Kultur ist dann eben nicht mehr systemrelevant. Ich als Schriftstellerin kann es selber beobachten, wie die Buchverkäufe einbrechen. Bücher werden wie auch andere Kulturgüter zum Luxusartikel.

So einfach geht das. So schnell verschwindet das Kulturleben, und keiner vermisst es, denn man hat sich ja schon daran gewöhnt. Und das, was man lange Zeit nicht darf, vermisst man dann auch nicht mehr.

Erst werden Kunst und Kultur verboten, dann kann sie sich keiner mehr leisten, und dann braucht man sie nicht mehr.

Ein großer Denkfehler liegt dem Ganzen zugrunde. In diesem Licht scheinen Kultur und Kunst etwas Nettes zu sein, die Rosine auf der Torte, etwas durchaus Schönes und Gutes, aber eigentlich nichts Wichtiges, etwas, worauf man eben auch verzichten kann.

„Kultur ist das, was übrig bleibt, wenn der letzte Dollar ausgegeben ist“ – dieser Satz stammt von Mark Twain. Und er drückt eben genau dies aus, dass Kultur nicht ein Luxusartikel ist, sondern ein menschliches Grundbedürfnis, ein Ausdruck von Humanität. Kultur ist das geistige Band, das uns als Gesellschaft zusammenhält. Sie steht gegen die Ökonomisierung der Lebensverhältnisse und für Freiheit.

Der Regisseur Joachim Lux schreibt:

„Kultur, Ritus, Religion gibt es von Anbeginn unserer Gattung deshalb, weil dem Menschen zutiefst klar ist, dass sich sein Menschsein nicht in Effizienz, Karriere, Geld oder Alltag erfüllen kann. Er braucht anderes, das das Leben lebenswert macht. Kultur ist nichts anderes als die Selbstfeier des Lebens und seiner Würde – ein Bannstrahl gegen den Tod, von dessen Existenz wir als einzige Gattung wissen. Kultur fängt ganz früh und im Elementaren an: mit der Kleidung, mit Hygiene, mit der Tischdecke, die man zu Ehren eines Gastes auflegt – alles vollkommen überflüssig, paradoxerweise aber vor allem unabdingbar. Auch die Kunst gehört in diesen Kontext, auch sie entstand menschheitsgeschichtlich sehr früh: als Höhlenmalerei, als Tanz, als Musik, als fantasievolles Nachspiel der eigenen Lebenswirklichkeit.

Das hat sich bis heute ausdifferenziert, aber nicht geändert: geistige Orientierung, kulturelle Bildung, spielerische Rebellion, die Beschäftigung mit den geistigen Fundamenten der eigenen Kultur, die Entwicklung von Neuem, zweckfreies Spiel, Ausbildung sensorischer Fähigkeiten, ganzheitliche Menschenbildung, Vertiefung sozialer Bindungskräfte, innere Referenzsysteme jenseits von Alltagsbewältigung – all das braucht der Mensch. Und die Gesellschaft in ihrer Diversität sowieso.“[1]

Der Deutsche Kulturrat schreibt 2010 unter dem Titel ‚Kunst und Kultur als Lebensnerv’:

„Kunst und Kultur haben eine herausragende Bedeutung für die Gesellschaft. Sie spiegeln gesellschaftliche Debatten wider, sie bieten Reibungsflächen zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, sie weisen über das alltägliche Geschehen hinaus. Kunst und Kultur sind Ausdruck des menschlichen Daseins. Die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur verweist auf die Vergangenheit und den Umgang mit überbrachten Werten, sie hat zugleich eine zukunftsgerichtete Dimension und beinhaltet Visionen einer künftigen Gesellschaft. Im Umgang mit Kunst und Kultur zeigen sich also die Diskurse der Gesellschaft. Kunst und Kultur wird eine herausragende Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung beigemessen.“[2]

Hier wird die Bedeutung von Kunst und Kultur formuliert, aber auch die Gefahr, die von ihr ausgehen kann. Gefahr für einen Staat, der darauf setzt, ein für alle verbindliches Narrativ über die gegenwärtige Gesellschaft durchzudrücken und der keine anderen Perspektiven mehr dulden will. Orte der Kunst und der Kultur sind von jeher Orte der Rebellion, des Widerstandes. Umso befremdlicher mutet es an, wenn sich Künstler der Gegenwart dafür hergeben, eine staatlich verordnete Impfung zu bewerben und sich in den Reigen einzureihen, Andersdenkende zu diffamieren.

Um die Ausstrahlungskraft des Kunst- und Kulturlebens besser zu verstehen, muss man sich anschauen, was mit Kunst und Kultur in totalitären Staaten geschieht. In der DDR unterstanden ihre Formen und Inhalte der Kontrolle der SED und unterlagen der Zensur. Kunstfreiheit existierte nicht. Was künstlerisch geschaffen wurde, musste zum politischen Diktum passen. Wer sich nicht systemkonform verhielt und es wagte, andere Inhalte als die gewünschten zu verbreiten, flog schnell auf. Durch ein dichtes Netz an Zuträgern gelang es der Stasi lange Zeit, Vereinigungen kritischer Zeitgenossen zu kontrollieren. Gegen ‚Rädelsführer’ wurden Zersetzungsmaßnahmen eingeleitet. Kunst in der DDR hatte ein bestimmtes Geschichtsverständnis zu illustrieren und diente der moralischen und politischen Erziehung der Bevölkerung.

Wir haben genug historisches Anschauungsmaterial in Deutschland, um begreifen zu können, welch weitreichende Folgen es hat, wenn wir der Kultur und Kunst das Licht ausschalten. Und das kann man derzeit auch ganz wörtlich verstehen – im Zuge der sog. Energiekrise soll es ab Herbst eine staatliche Anordnung geben, dass Denkmäler, alte Schlösser und Wahrzeichen nicht mehr beleuchtet werden dürfen.

Dies hat mehr Bedeutung, als man auf den ersten Blick denken mag. Ein Schloss, das über einer Stadt thront und an eine lange Geistes- und Kulturgeschichte erinnert, verschwindet im Dunklen. Die Kultur verschwindet im Dunklen.

Und dies passiert in diesem Land seit mehreren Jahren Schritt für Schritt, seit Beginn der sog. Corona-Krise im Sauseschritt.

Und hier muss es einen Aufschrei geben!

Dass nicht alles einem rein ökonomischen und eben auch nicht einem rein klimaschutzpolitischen Diktat unterworfen werden darf.
Kunst und Kultur müssen neu ins Licht gesetzt werden, auch wenn dies grünen Forderungen widersprechen sollte, nach denen sich alles und alle nur einem bestimmten Ziel unterzuordnen hätten.

Wir haben es in Corona-Zeiten erlebt, was es bedeutet, wenn wir alle Bedürfnisse und Werte nur einem Ziel unterordnen müssen, dem Infektionsschutz. Wie dann Menschlichkeit und Freiheit und Würde auf der Strecke bleiben.

Wir sollten kritisch werden und bleiben, wenn bestimmte Ziele staatlicherseits aufgestellt werden, denen sich alles und alle alternativlos unterzuordnen haben, sei es Infektionsschutz oder Klimaschutz oder Energiesparmaßnahmen.

Wenn wir einem solchen Diktat folgen, sind wir nicht weit entfernt von einer DDR, in der Kunst und Kultur Ausdruck einer bestimmten Gesinnung sein mussten. Totalitäre Staaten wenden sich von der Freiheit der Meinung und der Kunst ab, weil sie in ihr die Gefahr sehen, dass sie staatliche Propaganda untergraben könnte.

Ein Staat, der Kunst und Kultur im Dunkeln verschwinden lassen will, ganz beiläufig, als wäre nichts geschehen, wendet sich ab vom Menschen als seelisch-geistiges Wesen.
Er öffnet die Tür zu Unmenschlichkeit und geistiger Leere.

 

[1] https://www.theeuropean.de/joachim-lux/9569-der-wert-der-kultur, 2015

[2] https://www.kulturrat.de/positionen/kulturfinanzierung/, 2010

 

 

 

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