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Im Abgang muffig

„Ich bin auf dein Sofa gespannt“, sagte sie.

Und dann war sie weg. Für immer. Nein, nicht tot, sie hatte beschlossen zu verschwinden, aus meinem Leben. Sie entledigte sich meiner, wie man sich eines Kleidungsstückes entledigt, das man eine lange Zeit mal gern getragen hat und das dann verschlissen ist.

Unsere Freundschaft war verschlissen. Irgendwo zwischen zu viel reden und nichts sagen. Zwischen Corona und Alltag.

Sie war dann weg. Die letzten Worte kamen per Mail. Sie wollte nicht mehr reden, nichts erklären. Ich starrte auf die Zeilen auf dem Bildschirm, die langsam verschwammen. Wir kannten uns über zehn Jahre. Wir waren das gewesen, was man als beste Freundinnen bezeichnet. Und jetzt war sie weg.

Ich drehte Papierreste auf meinem Schreibtisch zu kleinen Kugeln. Ich schoss sie nicht weg. Ich legte sie sorgfältig nebeneinander. Fünf Stück. So groß wie die in Stanniolpapier verpackten Weihnachtschokokugeln.

Hätte ich etwas ahnen müssen? Sie schrieb vor vier Tagen, alles Liebe, vor drei Tagen alles Liebe. Jeden Tag, in jeder Nachricht. Bis auf gestern. Da kam die letzte Mail.

Vor vier Wochen hatte sie mich besucht. Das erste Mal in meiner neuen Wohnung. Als ich noch gar nicht umgezogen war. Sie wollte beim Umzug helfen. Sie hatte am Tisch mir gegenüber gesessen und auf mein Handy geschaut. Und gesagt, dass sie eine Pause braucht. Dass es nichts mit mir zu tun hätte. Sondern nur mit den digitalen Nachrichten, das wäre ihr zu anstrengend geworden. Aber wir könnten ja telefonieren oder Briefe schreiben, so wie früher, das hätte doch etwas.

Ich nahm die Papierkugeln und schmiss sie in den Müll.

Es hatte etwas mit mir zu tun. Ich hatte geglaubt, sie würde mir sagen, wenn etwas schiefläuft. Und mir eine Chance geben, etwas anders zu machen. Jetzt war sie weg.

Ich stand auf, ging zum Fenster, sah hinaus.

Aus dem Leben verschwunden, für immer. Und nicht tot. Und keine Erklärung.

Ich schrieb eine letzte Mail, ein letzter Versuch, eine letzte Bitte. Umsonst. Keine Antwort. Sie hatte mich aus ihrem Leben entfernt. Endgültig. Mit vielen Lügen, aber ohne Kratzer. Sie war verschwunden, wie ein Geist. Ließ müde Erinnerungen und taube Zweifel zurück.

Sie hatte sich impfen lassen, obwohl sie es nicht wollte und nicht brauchte. Sie wollte dazugehören. Und mir nicht mehr begegnen.

Ich ging in die Küche, spürte die Leere in meinem Bauch, die nichts füllen kann, ging wieder zurück, legte mich verkehrt herum auf mein altes Sofa.

Die Welt war anders geworden. Wie ein Film, der manchmal hakt, sah ich dem Leben zu, sah es rückwärts laufen. Ich hatte geglaubt, unsere Freundschaft würde alles aushalten, auch eine Pandemie. Und nun würde ich nie erfahren, wie ihr Leben weiter verlaufen würde, wann es zu Ende sein würde.

Am nächsten Tag sollte das neue Sofa geliefert werden. Ich werde ihr es nicht zeigen können. So wie ich ihr nicht mehr sagen können werde, dass ich traurig bin. Und dass eine alte Freundschaft etwas anderes ist als ein verschlissenes Sofa.

 

 

 

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