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Kunst in Zeiten von Corona – Dröhnendes Schweigen

Das Schweigen der Intellektuellen hat hierzulande Geschichte – das war zu Zeiten des Nationalsozialismus so, das war zu Zeiten der DDR so, und das ist gegenwärtig wieder so.

Zuweilen mutet es verstörend an, wenn Künstler, von denen man annehmen könnte, dass gerade sie eine bewusste Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Zeit suchen, sich in ihr Elfenbeintürmchen zurückziehen und schweigen. Wenn sie Lesungen und Ausstellungen unter 2G-Regeln machen und so tun, als wäre alles wie immer. Als gäbe es keine Gräben in einer Gesellschaft, die gezeichnet von einer rigorosen Verbotspolitik bereit ist, gesunde Menschen auszugrenzen und immer weitere Kollateralschäden einer faktenbefreiten Politik hinzunehmen. Als ginge es um nichts anderes, als das eigene neu erschienene Buch zu bewerben oder möglichst viele Bilder zu verkaufen.

Es sind Zeiten, in denen man sich als Künstler und Intellektueller fragen muss, was einen zum Schreiben, zum Kunst schaffen motiviert. Was ist es, was einen an den Schreibtisch drängt, so wie Bertolt Brecht schreibt in seinem Gedicht ‚Schlechte Zeit für Lyrik’ von 1939: In mir streiten sich /Die Begeisterung über den blühenden Apfelbaum/ Und das Entsetzen über die Reden des Anstreichers. /Aber nur das zweite /Drängt mich zum Schreibtisch.

Wenn auch die intellektuelle Szene sich immer mehr in Selbstdarstellung und Karrierebegradigung erschöpft, wenn sie nicht bereit ist, das Risiko einzugehen, eine Meinung zu vertreten, die quer zum Mainstream, aber auf der Seite der Menschlichkeit steht, dann mutet dies einigermaßen bedrohlich an.

Kann ich mich als Künstler in meinen Formen verstecken, kann ich schweigen angesichts einer Weltlage wie dieser, kann ich diese einfach ausklammern?

Sicher muss jeder Künstler eine eigene Antwort darauf finden. Was treibt mich zum Schreiben? Was treibt mich zum Malen, zum Bildhauern?

Und es ist in der Tat schwierig, mitten aus dem Zeiterleben heraus Stellung zu beziehen. Die Möglichkeit des Irrtums ist hier weitaus größer, als wenn man bereits eine zeitliche Distanz zu einem Geschehen hat. Und doch müssen wir als Künstler nicht genau diese Möglichkeit des Irrtums in Kauf nehmen? Statt zu schweigen?

In diesen Zeiten sind wir damit konfrontiert, dass uns die Autorität einer Regierung erklären will, was falsch und was richtig ist, was wir zu denken und zu tun und was wir nicht zu denken und nicht zu tun haben. Und daneben gibt es noch etwas wie den eigenen inneren Kompass, unsere Wertmaßstäbe, unsere eigene Ethik, die uns durch das Leben leitet. Und wenn die Forderungen der äußeren Autorität und dieser innere Kompass nicht mehr zusammenpassen, wem folge ich dann? Mache ich dann Lesungen und Ausstellungen unter 2G-Regeln, grenze ich gesunde Menschen aus, die sich gegen eine Impfung entschieden haben, obwohl dies meinen eigenen Wertmaßstäben widerspricht, weil es aber eine Autorität so angeordnet hat?

Von Künstlern nimmt man meistens an, dass es freiheitsliebende Geister seien, die sich unabhängig von äußeren Einflüssen machen und Phänomene der Zeit durchaus kritisch in ihre Werke aufnehmen. Dass dies durchaus nicht so ist, hat die Corona-Krise wieder einmal gezeigt. Die Menge der Künstler und Intellektuellen, die bereit waren und sind, sich zweifelhaften Regeln zu unterwerfen, war weit größer als die Zahl derer, die bereit waren und sind, sich öffentlich kritisch zu äußern. Hier unterschied sich diese Szene nicht maßgeblich von anderen Berufen: die Angst, den Verlag, das Engagement, die Galerie zu verlieren, war größer als die Bereitschaft, für menschliche Ideale einzustehen. Doch, wenn aus Angst alle schweigen, sich anpassen, mitmachen – wohin führt das? Die Geschichte lehrt uns dies.

Ich selber versuche seit Beginn der Pandemie Worte zu finden für all das, was jenseits des Fassbaren erscheint. Wie drückt man etwas aus, was vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war? Wie schreibt man darüber, wenn manche Kinder im Lockdown zu Hause sitzen müssen und dort permanent Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind, keinen Ausweg mehr haben und wenn solche Schicksale als ‚das kann man jetzt eben nicht ändern’ hingenommen werden?

Wie finde ich Worte dafür, wenn Schwerkranke und Sterbende alleingelassen werden, weil Betretungsverbote für Krankenhäuser und Hospize erlassen werden, wenn Angehörigen der Abschied verweigert wird?

Wie schreibe ich darüber, wenn alte Menschen monatelang in Alten- und Pflegeheimen weggesperrt werden, das Ganze als Schutz bezeichnet wird, wenn sie an Verzweiflung und Einsamkeit sterben?

Es ist immer wieder ein Ringen um Worte, um einen sprachlichen Ausdruck.

Ist es ein Blogtext in eher journalistischer Form? Ein Essay? Ein Gedicht? Eine Kurzgeschichte? Ein Roman? Wie nah gehe ich heran, wie analytisch distanziert bleibe ich? Wie kann ich ein Gefühl in Menschen dafür wecken, was einzelne Schicksale in Corona-Zeiten bedeuten, wie kann ich fühlbar werden lassen, was ausgeblendet wird?

Jeden Tag neu suche ich in diesen Zeiten nach Wegen, dem Sprachlosen eine Sprache zu geben. Natürlich war dies auch schon vor Corona eine meiner Motivationen zu schreiben: Worte zu finden für gesellschaftliche Tabu-Themen, zu schreiben über das Ausgeblendete, das Vergessene, den Ungehörten eine Stimme zu geben. Denn als Schriftstellerin sehe ich darin durchaus meine Pflicht, jenen eine Stimme zu verleihen, deren Leid sonst ungesehen und ungehört bleibt.

Und wenn ich dann um Formen, um Worte ringe, dann stehe ich vor der Frage, ob ich das Sprachmaterial, das die Corona-Zeit anspült hat, verwende, ob ich gerade so unsägliche Begriffe wie Betretungsverbot, Impfdurchbruch, Parkbankverweilverbot oder alternativlos aufgreife, diese in einen anderen Kontext stelle, um dadurch ihre Perversität deutlich werden zu lassen. Oder ob ich eine ganz andere Sprache suche.

Viele können nichts mehr rund um Corona ertragen, sie wollen davon nichts mehr hören, es vergessen.

Manche sagen, dass es doch alles bekannt sei, weshalb man darüber nicht mehr reden oder schreiben müsse. Das stimmt und es stimmt nicht. Als Künstler bin ich immer auch Chronist der Zeit. Ich greife etwas auf, verwandele es und lasse es anders spürbar, erfahrbar, sichtbar werden. Ist es nicht gerade jetzt notwendig, mich als Schriftstellerin mit einem Sprachmaterial auseinanderzusetzen, das Spiegel einer Denkart ist, die sehr kritisch zu betrachten ist? Geht es nicht gerade darum, dem Unerträglichen in einer künstlerisch verwandelten Form noch einmal zu begegnen und dadurch bewusster zu werden? Auch wenn es unangenehm ist, weh tut?

Und so schreibe ich weiter, manchmal satirisch, manchmal bildhaft, manchmal ironisch, manchmal mitfühlend, immer auf der Suche nach Worten, die den Geist dieser Zeit einfangen könnten. Und ich weiß, dass ich mich dabei immer wieder irre. Und ich weiß, dass ich es trotzdem versuchen muss.

 

 

 

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