Ende 2019 betrat eine Diva die Weltbühne.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte niemand, was ihr Erscheinen bedeuten würde.
Wie jede Diva wollte sie die gesamte Aufmerksamkeit für sich, und damit meinte sie auch in der Tat die gesamte Aufmerksamkeit. Sie schaffte es im Handumdrehen, dass sich sämtliche Nachrichten ab dem Frühjahr 2020 ausschließlich um sie drehten. Nichts anderes interessierte die Menschen mehr, es ging allein um Corinna. Wo sie sich gerade aufhielt, welche Spuren sie zog, wie ihre Wirkung war und wo man mit ihrem Auftauchen rechnen musste. Kriege, Hungersnot, Klimawandel – all dies schien seit dem Auftreten von Corinna vollkommen uninteressant.
Sie war eine Diva und sie war Königin. Ihre große und ungewöhnliche Krone flößte den Menschen Respekt und Ehrfurcht ein. Sie duldete keinen Widerspruch und war sich ihres Siegeszuges gewiss. Sie wollte die alleinige Macht, sie wollte herrschen. Alle sollten sich nach ihr richten, sie bewundern, sie fürchten, ihr folgen.
Und so begann mit ihrem Erscheinen ein Zersetzungsprozess demokratischer Staatsformen. Sie hasste die Demokratie, die Herrschaft des Volkes. Das Volk sollte ihr folgen, ihr gehorchen, sich zum Untertan machen. So flüsterte sie den Regierenden täglich ein, was geschehen würde, wenn man nicht auf sie hören würde. Sie malte schauerliche Schreckensbilder, was passieren würde, wenn man sich dagegen verwehrte, ihr die gesamte Macht zuzusprechen.
Nichts beherrschte Corinna so gut wie das Spiel mit der Angst. Sie hatte jahrhundertelang die Schwächen der Menschen studiert, sie wusste um ihre wunden Punkte – nichts fürchteten sie so sehr wie den Tod, vor allem den qualvollen Tod. Daran hatte sich über Jahrhunderte nichts geändert. Und so sprach sie davon, wie elendig die Menschen sterben würden, die sich nicht ihren Regeln beugten, wie sie um Atem ringend qualvoll ersticken würden.
Und so erreichte Corinna in kürzester Zeit, was vorher unmöglich erschienen war.
Demokratische Staaten verboten den Menschen, ihre Wohnungen und Häuser zu verlassen, sie durften sich nicht mehr treffen, sich nicht mehr umarmen, nicht feiern, nicht tanzen und singen, nicht ihre Kranken und Sterbenden besuchen, nicht ihre Toten beerdigen. Sonst käme die Strafe Corinnas. Und diese bedeutete ewige Schuld und einen langsamen, qualvollen Tod.
Corinna verlangte vollkommenen Gehorsam und Ehrfurcht. Sie ertrug es nicht, wenn man ihr mit unverhülltem Gesicht begegnete. Sie forderte, dass alle Menschen vor ihr das Gesicht verhüllten, so dass Nase und Mund verschwanden. Sie wusste, dass dies noch mehr Angst erzeugte. Und sie hasste es, wenn die Menschen lächelten. Sie sollten Masken tragen, schweigen und folgen. Nur ängstliche, gehorsame Menschen waren für sie die richtigen Menschen.
Jene, die ausscherten, die sich partout nicht ihrem strengen Regime beugen wollten, versuchte sie anders zu brechen. Immerhin hatte sie über viele Epochen der Menschheitsgeschichte die Foltermethoden studiert. Sie wusste, wie man Menschen gefügig macht, wie man sie zermürbt, wie man die Zügel zwischendurch etwas lockerer lässt, um dann die Daumenschrauben nochmals fester anzuziehen. Sie kannte den Weg, um Moral und Hoffnung zu zerstören, und sie scheute vor nichts zurück. Und so wusste sie auch, dass nichts erfolgversprechender war, als die Menschen gegeneinander aufzubringen, Gräben zu erzeugen und unversöhnliche Fronten zu erschaffen. Sie wusste, dass bei den meisten Menschen die Angst ihr Werk tun würde und sie ihr folgen würden. Und jene, die diese unvermeidliche Stärke in sich trugen ihr zu widerstehen, denen sie mit einem qualvollen Tod keine Angst machen konnte, ließ sie ausgrenzen, verhöhnen, verspotten, diffamieren. Ihr Ruf wurde ruiniert, sie verloren Ansehen und Freunde, ihre Arbeit. Sie würden schon merken, dass sie keine Chance hatten, es mit einer Corinna aufzunehmen. Sie sorgte dafür, dass manche sich so sehr über Corinna aufregten, dass sie verrückt wurden, dass andere so verzweifelt waren, dass sie sich das Leben nahmen und dass wiederum andere in fremde Länder verschwanden, wo ihr Einfluss gering war.
Unter Corinna wurde es still. Alles schien tödlich – jedes gesprochene Wort, jeder Atemzug. Jeder Mensch wurde zu einer Gefahr. Corinna schaffte Abstand und verbannte jeden Menschen in sein Zimmer. Sie war sich sicher, dass sie in kürzester Zeit wieder Zucht und Ordnung herstellen konnte. Man würde die Länder, in denen sie herrschte, nicht mehr wiedererkennen können.
Die Menschen fielen einander nicht mehr in die Arme, sie waren stattdessen voller Argwohn und Misstrauen, sie hielten einander für gefährlich und tödlich. Und sie hatten Angst schuldig zu werden am Tod des anderen, denunzierten sich gegenseitig und hielten sich dabei für solidarisch.
Corinna hasste es, wenn die Menschen selbständig dachten, wenn sie eigenverantwortlich handelten. Darum war sie gekommen, um diesem Treiben ein Ende zu setzen. Die Zeiten des freien Individuums waren ein für allemal vorbei.
Verbote, Pflichten, Zwänge ersetzten Freiheit und Willen. Corinna besaß die Fähigkeit mithilfe ihrer schauerlichen Schreckensszenarien die Gehirne der Menschen derart zu vernebeln, dass fast keiner auch nur noch versuchte zu denken. Sie wollte Untertanen, nicht freie Bürger.
Was ihr vor allem ein Dorn im Auge war, war jeder Glaube an Seele und Geist, an etwas Göttliches. So ließ sie als erstes die Kirchen schließen, um zu unterbinden, dass Menschen im Gebet sich einem Gott zuwandten und auf diese Weise Hoffnung finden könnten. Sie duldete niemanden neben sich.
Sie wollte keinen Weihrauch, keine Gesänge, keine Gebete, sie wollte Zahlen. Corinna betete man mit Zahlen an. Das tägliche Corinna-Unser bestand aus Zahlenfolgen, die man Inzidenzen nannte. Morgens nach dem Aufwachen, mittags zum Essen, abends zum Schlafengehen – unsere täglichen Inzidenzen gib uns heute. Corinna genoss es, wenn man ihr mit Zahlen die nötige Huldigung erbrachte.
Indem sie ununterbrochen die Angst vor physischem Verfall schürte, ließ sie die Menschen vergessen, dass sie eine Seele hatten, dass sie Geistwesen sind. Diese Verbindung musste Corinna vernichten, dessen war sie sich bewusst. Ihre Herrschaft war allein gesichert, wenn nur das Überleben der physischen Hüllen das einzig erstrebenswerte Ziel war.
Dass die Menschen litten, einsam und isoliert, wurde so zu einem unvermeidlichen Übel, dass sie billigend in Kauf nahmen, würden sie auf diese Weise nur Corinnas Schreckensszenarien verhindern können.
Corinna hatte alles jahrelang im Verborgenen vorbereitet, was nun in Erscheinung treten sollte. Sie war Perfektionistin, sie hatte alles bedacht und jedem Scheitern ihres Plans vorgebeugt. Menschen, die jeden Tag stundenlang vor wechselnden Bildschirmen saßen und jede Menge Nachrichten und Informationen konsumierten,würden sich nicht wehren, wenn der Tag gekommen war, ihnen ihre Freiheitsrechte zu nehmen.
Und Corinna wusste: Menschen waren naiv. Sie würden glauben, es wäre ein kurzer Spuk, der bald vorüber wäre. Sie würden tun, was man ihnen befahl, in der Hoffnung, dass auf diese Weise das Übel namens Corinna schnell wieder verschwand.
Sie ließen sich einsperren, sich den freien Atmen durch Masken nehmen, sie ließen sich impfen mit einem neu erfundenen Stoff, dessen Wirkungen niemand kannte. Die Menschen glaubten wirklich, darüber musste Corinna immer wieder lachen, dass sie auf diese Weise ihre alte Normalität zurückbekommen würden. Sie waren Marionetten in ihrer Hand. Es war einfach sie zu beherrschen, denn sie waren Sklaven, auch wenn sie sich für frei hielten.
Das Unumstößliche wurde umgestoßen. Nur wer sich unterwarf, bekam seine Freiheit zurück, auch wenn er diese durch den Akt der Unterwerfung längst verloren hatte. Aber auch dies durchschauten die Menschen nicht, denen es allein um ihre kleinen Freiheiten ging – das Essen beim Italiener um die Ecke, der Besuch beim Friseur, die Reise ans Mittelmeer im Sommer.
Bisher geltende Grundsätze wurden ins Gegenteil verkehrt. Hatte es das Rechtswesen bis dato vorgesehen, dass die Unschuldsvermutung galt, dass also erst die Schuld eines Verdächtigen bewiesen sein musste, um ihn zu verurteilen, so wurde in Corinnas Staat jeder Mensch verdächtig. Jeder musste beweisen, dass er gesund war, jederzeit und allerorts. Jeder, der nicht geimpft oder getestet war, war ein Gefährder der gesamten Menschheit. Und so ließen sich die Menschen überall von in Plastik vermummten, maskierten Menschen Plastikstäbchen in ihre Körperöffnungen rammen, um ihre Unschuld zu beweisen.
Corinna wunderte sich durchaus, wie widerstandslos die Menschen ihre Würde, ihre Integrität und ihre Freiheit aufgaben – und lächelte zufrieden.
Corinna liebte Kontrolle. Überwachung war neben Angst das beste Instrument der Macht. Nichts sollte mehr geheim bleiben, nichts im Verborgenen verschwinden. Weil die Menschen Sicherheit wollten, und diese waren ihnen bedeutender als Freiheit, ließen sie sich überwachen und hielten es für klug dies zu tun.
Wie weit würde Corinna gehen können? Was würden die Menschen alles mit sich machen lassen? Sie wusste, dass sie langsam und mit Bedacht die Maßnahmen immer schärfer und härter machen musste, so dass jenes, was vor einem Jahr noch undenkbar schien, möglich werden konnte.
Wer würde die Kraft und die Klugheit haben, Corinna so zu begegnen, dass sie an Einfluss und Macht verlor?
Nicht für immer würde sie herrschen können. Dies wusste sie selbst. Es würden andere Kräfte erscheinen, die ihr an Stärke ebenbürtig waren.
Und es lag eben auch an den Menschen, deren Aufgabe es war, ihre Bestimmung als Wesen der Freiheit zu erfüllen. Es brauchte ein neues Denken, das über das Materialistische und Reduktionistische
hinausging.
Corinna wusste, dass die Menschen dazu fähig waren dies zu entwickeln, aber sie würde alles tun, um dies zu verhindern. Bis dahin würde sie weiter alles daran setzen, dass die Menschen
angstgetrieben sich ins Räderwerk der Macht einfügten und gehorchten.
Es würde der Tag kommen, an dem der Wind sich drehte.
Es hing an den Menschen, wann dies geschah.
Hinweis: Corinna ist auch noch unter anderen, ähnlich klingenden Namen bekannt.
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