Hey, ich bin Annalena, ich bin 26 Jahre alt, und ich habe eine Maskenbefreiung.
Seit dem ersten Tag der Maskenpflicht bin ich davon befreit, weil ich unter einer schweren Angststörung leide. Und unter eine Traumafolgestörung. Und einer Zwangsstörung. Und noch unter ein paar mehr Sachen, die ich hier jetzt nicht aufzähle. Wenn ich eine Maske aufziehe, bekomme ich Panikattacken, also Todesangst. Und Flashbacks, also üble Erinnerungen an meine Vergangenheit.
Wenn ihr das hier lest, könnt ihr euch vielleicht schon denken, dass ich schon einiges hinter mir habe. Wegen meiner Angststörung kann ich viele Sachen nicht machen, die die meisten Menschen für normal halten. Also in einem Kaufhaus einkaufen, in ein Flugzeug steigen oder eine lange Wanderung im Wald machen. Ich bekomme dann Panikzustände, die nicht viel von der Annalena zurücklassen, die ich sonst bin.
Denn ich bin nicht nur gestört – ich habe Graphikdesign studiert und arbeite als freiberufliche Graphikerin, ich fahre Skateboard, tanze, singe und mag alles, was ästhetisch ist. Auf jeden Fall haben die meisten Leute nicht verstanden, was ich denn habe. Sie fanden es irgendwie lächerlich, warum man in einem Kino plötzlich Todesangst bekommt. Daher habe ich nicht mit vielen Leuten darüber geredet, wie es ist mit einer Angststörung zu leben. Mit einer Traumafolgestörung kann dann schon mal fast niemand etwas anfangen. Ach, hattest du eine schwere Kindheit? Ich habe einfach viel Scheiße erlebt, aber ich will gar nicht bemitleidet werden oder so. Ich habe viel dabei gelernt, und ich weiß, wie man überlebt.
Mit meiner Geschichte habe ich gelernt klarzukommen. Aber mit Corona komme ich nicht wirklich klar. Ich soll jetzt plötzlich Verständnis haben dafür, dass die Leute an den unmöglichsten Stellen Angst haben. Dass sie mitten im Wald eine Maske tragen, weil sie glauben sich dort anstecken zu können. Ich merke, dass mich das sauer macht. Fast niemand hat mir Verständnis entgegengebracht, außer den Psycho-Profis, und nun soll ich Verständnis dafür haben, dass die Leute aus lauter Angst nur noch Scheiße bauen und aufhören zu denken? Sorry – aber ich weiß, was es heißt richtig Angst zu haben, und ich weiß, dass man auch dann noch handeln kann, und nachdenken, zumindest hinterher, wenn die Angst ein bisschen weniger ist. Es ist eine schlechte Ausrede zu sagen, dass man vor lauter Angst monatelang hirnlos den sinnlosesten Maßnahmen hinterherläuft.
In meiner Therapie wurde mir immer gesagt, ich hab darf nichts vermeiden. Ich darf nicht vermeiden, in ein Kaufhaus zu gehen, einzukaufen und so weiter, sonst würde die Angst immer schlimmer werden. Das stimmte auch. Wenn ich immer vermied, saß ich irgendwann nur noch mit mir allein zu Hause und traute mich nicht mehr auf die Straße. Und nun in dieser Kack-Pandemie soll Vermeidung plötzlich toll und richtig sein? Wir vermeiden Kontakte, wir vermeiden Ansteckung, wir vermeiden Krankheit, wir vermeiden den Tod. Sorry, aber das ist irre.
So wenig, wie ich so tun konnte, als gebe es nicht die Welt um mich herum, die mir oft ziemlich Angst machte, so wenig kann man jetzt kollektiv so tun, als könnte man vermeiden krank zu werden.
Wegen meiner Zwangsstörung hab ich mir eine Zeitlang ständig die Hände gewaschen oder desinfiziert. Mir wurde gesagt, dass das krank sei. Und dass es meine Haut kaputt mache. Und dass ich damit aufhören müsse und damit nur etwas versuche zu verdecken, was ich innerlich nicht verarbeitet habe.
Ja, und nun stehe ich da draußen in dieser Welt, die mir schon immer etwas suspekt war, und da waschen und desinfizieren sich nun alle permanent die Hände. Mir kam das so schräg vor, dass ich plötzlich keinen Waschzwang mehr hatte.
Es ist schon seltsam, wenn einem die eigenen, geheim gehaltenen Störungen, die einem über viele Jahre als einigermaßen unnormal gespiegelt wurden, komplett im Äußeren in echt begegnen und dort plötzlich für ganz normal gelten.
Ich mache mir echt Sorgen um die Kinder, die lernen, dass es gefährlich ist, sich nicht ständig die Hände zu desinfizieren, die lernen, dass Begegnung total gefährlich ist und andere Menschen nur noch Virenträger sind. Ich glaube, die haben große Chancen, so etwas wie Angststörungen und Zwangserkrankungen zu bekommen.
Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass das nichts ist, was man eben schnell mal wieder los wird.
Aber was mich am meisten aufregt ist, dass ich seit einem Jahr ständig beschimpft, angepöbelt, mit giftigen Blicken bedacht und ausgegrenzt werde, weil ich keine Maske tragen kann. Ich werde als Gefährder, als asoziales Schwein und als Nazi beschimpft. Täglich. In öffentlichen Verkehrsmitteln, im Supermarkt, in der Einkaufszone, beim Arzt. Das ist krass. Ich habe eine Erkrankung und werde dafür behandelt, als sei ich aussätzig. Ich bin den Medien total dankbar, dass sie von der ersten Stunde so berichtet haben, als seien alle Menschen ohne Maske Verweigerer und als seien alle Atteste Fake-Atteste. Ganz großartig, ein Bärendienst. Den Politikern bin ich auch total dankbar, dass sie darauf verzichtet haben, diese Ausnahmeregelung zu kommunizieren. Und den Supermärkten dafür, dass sie fast nie auf diese Ausnahmen hinweisen. Es ist nicht einfach damit klarzukommen, dass ich täglich angegriffen werde, wenn ich nur Butter kaufen möchte. Ich war schon immer anders, aber bisher konnte ich das ganz gut verbergen und nur denen zeigen, denen ich es zeigen wollte. Wenn ich jetzt keine Maske aufziehe, dann sieht es jeder, dass ich anders bin. Und für Menschen wie mich, die mit solchen Erkrankungen herumlaufen, ist das echt hart. Ich möchte weder den Sicherheitsleuten am Eingang von Geschäften noch Ladeninhabern noch anderen Kunden erklären, warum ich keine Maske tragen kann. Das Tollste war, dass einige sagten, mein Attest gelte nicht, es müssten die ärztlichen Diagnosen draufstehen. Wie war das nochmal mit dem Arztgeheimnis? Und dem Datenschutz? Alles egal? Wegen Corona? Ich finde das ganz prima, wenn nun jeder Supermarktangestellte lesen kann, dass Annalena eine Angststörung, eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Zwangsstörung hat. Das, was bisher nur meinen Arzt und mich etwas anging, soll jetzt die ganze Welt wissen, nur damit ich weiter einkaufen darf? Bitte – wo leben wir denn? Innerhalb eines Jahres musste mich nun also darauf einstellen, an jeder öffentlichen Ecke wie eine Kriminelle behandelt zu werden. Wenn ich durch die Fußgängerzone gehe, hält der große Polizeibus vor mir an und ich muss mich ausweisen. Freundlich sind die auch nie. Wenn ich zu einem Facharzt muss und vorher sage, dass ich von der Maskenpflicht befreit bin, kann ich sicher sein, dass dann, wenn ich vor Ort bin, niemand davon weiß und ich angefahren werde: Maske auf. Oder dass ich im Treppenhaus warten muss. Oder gleich wieder gehen muss, weil ich sonst die anderen Menschen gefährde.
Am Anfang hab ich mich ständig aufgeregt. Zu Hause hab ich geweint. Dann bin ich nirgends mehr hingegangen, aber dann wurde es wieder schlimmer mit der Angst und den Erinnerungen. Und dann bin ich doch wieder rausgegangen. Aber es ist so verdammt anstrengend, wenn jeder Brötchenkauf zum Spießrutenlauf wird.
Und es ist so verdreht. Ich habe schwere Erkrankungen und würde meine Gesundheit gefährden, wenn ich eine Maske trage. Aber ich werde permanent so behandelt, als würde ich absichtlich die Gesundheit anderer Menschen gefährden. Das ist total absurd.
Beim nächsten Mal mache es anders, denke ich jedes Mal. Dann bin ich schlagfertiger, selbstbewusster, abgegrenzter. Corona ist mein Sparrings-Partner. Achja, Karate hab ich auch gemacht, aber geht wegen Corona ja auch nicht mehr. Ist Kontaktsport und daher ganz schlimm. Nächstes Mal mache ich es echt anders.
Wissen Sie eigentlich, wie es ist, wenn man Todesangst unter einer Maske bekommt? Wissen Sie, was es heißt, traumatisiert zu sein? Wollen Sie, dass ich Ihnen mal ganz genau meine Geschichte erzähle, die dazu geführt hat, dass ich keine Maske tragen kann? Dann hören Sie aber zu, bis zum Ende. Mit allen unerträglichen Details. Und dann sagen Sie mir, ob sie immer noch meinen, dass ich eine Maske tragen muss!