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Corona-Sprech - über notwendige Sprachkritik

Sprachkontrolle ist Gedankenkontrolle. In Orwells dystopischem Roman 1984 heißt die aus politischen Gründen umgestaltete Sprache Neusprech. Die Beschränkung sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten soll hier dazu beitragen, die Freiheit des Denkens aufzuheben. Neusprech wurde im übertragenen Sinne zu einer Bezeichnung für Sprachformen, die durch Sprachmanipulation bewusst verändert werden, um die Ziele und Motivation der Anwender zu verschleiern.

Wer die Sprache gestaltet, formt die Welt. Politische Wahrnehmung und auch politisches Handeln können durch sprachliche Manipulation maßgeblich verändert werden. Neben der Umdeutung von Begriffen der normalen Sprache gewinnt Neusprech seine Kraft durch die Einführung von Worthülsen - vor allem Euphemismen, also beschönigende Bezeichnungen, sind Teil von sprachlicher Propaganda.

Bei Orwell bedeutet ‚vaporisieren’ (eigentlich aus dem Lateinischen: verdampfen), einen Menschen physisch und aus dem Bewusstsein seiner Mitmenschen auszulöschen, weil er eine ‚Unperson’ ist, also eine unerwünschte Person.

Die Parolen ‚Freiheit ist Sklaverei’, ‚Krieg ist Frieden’ oder ‚Unwissenheit ist Stärke’ prangen am Ministerium für Wahrheit. Neusprech ersetzt oder streicht schädliche Begriffe wie „Gerechtigkeit“, „Moral“, „Demokratie“. Kunst wird zensiert oder verboten. Die Geschichte wird neu geschrieben. Freie Meinungsäußerung und Bürgerrechte gibt es schon lange nicht mehr. Das bloße Denken an Widerstand gegen die Partei und den Staat wird als „Gedankenverbrechen“ mit dem Tode bestraft.

Wie weit weg sind wir eigentlich von dem Szenario, das Orwell in 1984 entwirft?

Viel zu wenig macht man sich in der Pandemie Gedanken über die Veränderung der Sprache, obwohl diese die Grundlage für all die durch Medien und Politiker transportierten ‚Wahrheiten’ ist. Sprachkritik ist in diesen Zeiten kein Luxus, sondern notwendiger als je zuvor.

Man muss aufhorchen, wenn Sätze fallen wie ‚Die Maske ist ein Symbol der Freiheit’ oder wenn es heißt: ‚Seine Mitmenschen zu denunzieren ist Solidarität.’
Die derzeitige Umdeutung von Begriffen und ihr Missbrauch müssen jeden Menschen, der einigermaßen bewusst mit Sprache umgeht, zusammenzucken lassen. Die Entleerung und Verdrehung des Begriffes Solidarität ist beispiellos. Im ursprünglichen Sinne des Wortes stammt Solidarität vom Lateinischen ‚solidus’ ab, was fest und echt bedeutet. Solidarität drückt in einem ethisch-politischen Kontext eine Haltung von Verbundenheit aus. In Zeiten der Corona-Pandemie bedeutet Solidarität, die Maßnahmen der Regierung kritiklos abzunicken, möglichst nicht selber zu denken, die Aussetzung der Grundrechte widerstandslos hinzunehmen, seinen Beruf nicht mehr auszuüben und seine Nachbarn bei der Polizei anzuschwärzen. Solidarität wird geradezu beschworen: ‚Wir müssen jetzt solidarisch sein. Wir halten zusammen.’ Wer genau dieses Wir ist, von dem vor allem die Politiker in diesen Zeiten so gern reden, bleibt die große Frage.

Wir schützen die Alten und Kranken, indem wir solidarisch immer wieder in einen Existenzen und das Sozialleben zerstörenden Lockdown gehen, von dem wir nicht einmal wissen, ob er irgend etwas bringt. Dabei sei angemerkt, dass das Schützen der Alten und Kranken bedeutet, sie monatelang in Isolationshaft zu verwahren, abgeschnitten von allen sozialen Kontakten, bis sie vereinsamt sterben. Diese Form von Solidarität muss kritisch hinterfragt werden. Menschen wollen solidarisch sein, das ist schön. Sie tragen Masken, weil sie glauben, damit Leben retten zu können. Aber leider scheint die Solidarität nur allzu oft dort zu enden, wo die Maske aufhört, an der Nasenspitze.

Wo ist die Solidarität mit den KünstlerInnen und Kulturschaffenden, mit den Gastronomen, mit all denjenigen, die vor dem Scherbenhaufen einer jahrelang oder sogar über Generationen aufgebauten beruflichen Existenz stehen?

Die Zeiten von Corona zeichnen sich dadurch aus, dass brutal mit zweierlei Maß gemessen und dies sprachlich entsprechend verpackt wird. Der Tod wird umgedeutet – es gibt eine Hierarchie der Toten. Was zählt, sind die Corona-Toten, deren Zahl uns jeden Tag auf allen medialen Kanälen ins Hirn gehämmert wird, um unser solidarisches Verhalten (Maske tragen, keine Sozialkontakte pflegen, auf dem Sofa sitzen und nichts tun) anzuspornen. Doch was ist mit den anderen Toten? Mit denen, die weiterhin jeden Tag im Mittelmeer sterben? Mit denen, die infolge unterbrochener Lieferketten an Hunger sterben? Was ist mit den Menschen, die infolge des Lockdowns keinen Ausweg mehr wissen und Suizid begehen?

Merke: Tote sind nicht gleich Tote, und Solidarität ist nicht gleich Solidarität.

Wir leben in Zeiten, in der jede Kritik an den staatlichen Maßnahmen verunglimpft werden muss zu Verschwörungstheorie, esoterischem Geschwurbel oder Rechtspopulismus. Die sprachliche Umdeutung ist immens und knapp ein Jahr nach Pandemie-Beginn zeigt sie Wirkung. Der Hashtag #trustscience heißt übersetzt nichts anderes als Autoritätshörigkeit – unter Nichtbeachtung der Tatsache, dass sich ‚die WissenschaftlerInnen’ gar nicht einig sind darüber, was ein sinnvolles Vorgehen in der Pandemie ist und dass ‚die Wissenschaft’ neuerdings aus immer denselben regierungsnahen, vermeintlichen Experten besteht, die gar nicht genug von immer schärferen Maßnahmen bekommen und ihre sadistischen Neigungen endlich als Lockdown-Hardliner ausleben können.

Social-Distancing wird heute zum Akt der Nächstenliebe verklärt. Was vor Corona noch als kaltherzig und unempathisch eingestuft worden wäre, ist plötzlich Barmherzigkeit. Die Regierung scheut auch nicht davor zurück, Video-Clips zu drehen, die den gelangweilten, in seiner Zockerei versinkenden, kalte Ravioli essenden Bürger als Helden feiert. Und das in einer Gesellschaft, die bis vor kurzem noch ausschließlich auf Leistung, Fitness und Selbstoptimierung gesetzt hat.

Erstaunlich. Noch erstaunlicher, wie viele Menschen dies kritiklos abkaufen und sich darin gefallen, die neue Solidarität in vorauseilendem Gehorsam zu erfüllen.

Wenn es zu medialer und politischer Sprachmanipulation kommt, die weit über ein bisher gekanntes Maß hinausgeht, ist Vorsicht geboten. Wenn die in einer Demokratie notwenige Debatte ertränkt wird in Begriffen wie Verschwörungstheorie oder Corona-Leugner, kann man nicht so tun, als würde nichts geschehen.

Über eine undifferenzierte Sprache wird ein Schwarz-Weiß-Denken befördert, das kein Abwägen, keine besonnenen und keine vermittelnden Positionen mehr zulässt. Die derzeit in unserer Gesellschaft zu beobachtende und zunehmende Spaltung hat mit sprachlichen Appellen zu tun, die keine Graustufen zulassen. Es gibt keine Kritiker mehr, es gibt nur noch solidarische Befürworter der Maßnahmen oder Corona-Leugner. Es gibt keine Demonstranten mehr, es gibt nur noch Nazis und Verschwörungstheoretiker.

Das Spiel mit der deutschen Geschichte ist ein besonders perfides. Seitens der Medien werden demonstrierende BürgerInnen pauschal als rechts oder zumindest den Rechten nahestehend diffamiert. Gleichzeitig ist es ein absolutes Tabu, Parallelen zu demokratieauflösenden Prozessen in der deutschen Geschichte zu ziehen. Wer es auch nur wagt, eine Andeutung zu machen, dass wir doch aus der Geschichte gelernt haben müssten und unser kritisches Denken nicht einstellen dürfen, sieht sich reflexartig mit dem Vorwurf konfrontiert, den Holocaust zu verharmlosen. Natürlich sind die Verbrechen der NS-Zeit beispiellos. Aber dürfen wir denn nicht aus der Geschichte so viel gelernt haben, dass wir kritisch werden, wenn Grundrechte zu Privilegien für Geimpfte erklärt werden sollen, wenn Menschen gedroht wird, zur Absonderung in speziell eingerichtete Lager zu kommen, sollten sie die staatlichen Maßnahmen nicht befolgen?

Das Wort Corona-Leugner spielt untergründig mit dem Wort Holocaust-Leugner - das ist Sprachmanipulation.
Wer laut Kritik übt, landet in der Leugner-Ecke – er leugnet das nicht zu Leugnende – das ist entsetzlich. Und daher verzichten die meisten auf Kritik. Und auf Demonstrationen. Und auf ihre Grundrechte. Es will doch keiner ein Nazi sein. Der Trick ist einfach und er funktioniert.

Man macht Menschen handlungsunfähig und mundtot. Der Impuls, sich nicht weiter von menschenverachtenden Maßnahmen entmündigen lassen zu wollen, wird niedergestreckt von dem stärkeren Impuls, auf keinen Fall in der Verschwörungs- oder Nazi-Ecke landen zu wollen.

Schon früh gelang es in der Pandemie, bestimmte Dinge unsagbar zu machen, so dass nur noch wenige es wagten, es trotzdem zu sagen und zu tun, nicht selten mit entsprechenden Konsequenzen.

Wenn die Freiheit der Sprache verschwindet, dann verschwindet die Freiheit des Denkens. Und damit auch die Freiheit des Handelns.

Dies ist bekannt und ändert sich auch nicht in Corona-Zeiten:

Das Gute ist gut, auch wenn niemand es tut. Und das Schlechte bleibt schlecht, auch wenn es alle tun.