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Als der Staat den Rachen des Bürgers stürmte

Moment mal, werden Sie sagen – es ist doch das Virus, das den Rachen stürmt, und nicht der Staat. Der Staat stürmte den Rachen des Bürgers, als er sich der intimsten Angelegenheiten der BürgerInnen bemächtigte.

Er begann zu entscheiden, wann und wie oft wir uns ein Wattestäbchen in Nase und Rachen rammen zu lassen haben. Im Namen des Infektionsschutzes begann die Spurensicherung auf unserer Schleimhaut. Und in den letzten Wochen mehren sich Berichte, dass dies zunehmend auch gegen den Willen von Menschen passierte und passiert, gegebenenfalls mit Zwangsmaßnahmen.

Unsere Schleimhaut ist ein Raum des Intimen. Sie kleidet unsere inneren Räume aus. Sie ist nichts, wo wir jeden Menschen heranlassen wollen. Das änderte sich mit den PCR-Tests, die uns zu schmerzhaften Prozeduren zwangen. Bilder davon beherrschen die Medien seit fast einem Jahr. Ein sitzender Mensch mit dem Kopf im Nacken, vor ihm stehend ein in Schutzbekleidung vermummter Tester mit dem Stäbchen in der Hand. Man mag sagen, das klingt nun alles etwas sehr dramatisch und übertrieben, aber es ist notwendig zu reflektieren, was diese Bilder tagtäglich transportieren. Tiere zeigen ihren Kehlkopf, wenn sie sich ihrem Gegner ergeben.

Der getestete Mensch ergibt sich staatlicher Anordnung. Er hat keine Wahl, wenn er Kontakt mit positiv Getesteten hatte.

Zugleich ist dieses staatliche Eindringen in unsere Schleimhäute nur eine Metapher dafür, was sonst noch alles geschieht.

Vor einem Jahr schien es uns undenkbar, dass der Staat darüber entscheidet, wie viele Menschen wir treffen, wie nah wir uns kommen, ob wir unser Gesicht verhüllen und ob wir allein sterben müssen.

Hinter uns liegt ein Jahr, das alle Maßstäbe verändert hat. Das Undenkbare ist denkbar geworden. Im ersten Lockdown kam es zu schrill anmutenden Verboten, die nicht mehr nachvollziehbar waren, wie zum Beispiel Parkbankverweilverbote.

Man gab später milde zu, dass die Regierung keine Erfahrung mit einer solchen Situation hatte und hier und da etwas über das Ziel hinausschoss. Ein Dreivierteljahr später, nachdem Herr Spahn vor einigen Monaten erklärte, man werde mit dem Wissen von heute niemals mehr den Einzelhandel schließen, mehren sich solch schrille Verbote erneut. Rodelverbote sind die neueste Errungenschaft eines weiteren harten Lockdowns. Das Volk, gepeinigt von fast einem Jahr panikmachender Berichterstattung, geplagt von Existenznot, Einsamkeit und Überforderung, sucht Abwechslung in den seit langem einmal wieder verschneiten Mittelgebirgen. Für ein paar Stunden Corona vergessen, sich lachend im Freien bewegen, Erwachsene und Kinder gleichermaßen, das Immunsystem an frischer Luft stärken und einfach Spaß haben. Das duldet der Staat nicht lange. Er habe doch gesagt, man solle zu Hause bleiben und Kontakte vermeiden, möglichst niemanden treffen.

Wie kann man denn da auf die unverschämte Idee kommen und mit seiner Familie oder mit Freunden zum Rodeln ins nächste Mittelgebirge zu fahren? Der uneinsichtige Bürger muss gezüchtigt werden. Parkplätze werden abgesperrt, Polizeieinsätze im Wald – Bilder, die man Deutschland nicht für möglich gehalten hatte. 25.000€ Bußgeld werden verhängt, sollte jemand noch auf die unvernünftige Idee kommen, mit einem Schlitten den Berg hinunterzusausen.

Zu dem Zeitpunkt, als der Impfstoff da war, gepriesen als Erlösung von der Verdammnis der Pandemie, als Menschen begannen Hoffnung auf die Rückkehr eines normalen Lebens zu schöpfen, griff der Staat wieder einmal zu seinen berüchtigten drastischen Maßnahmen. Der Lockdown wurde verschärft.

Regierungsvertreter verkünden die neuen harten Kontaktbeschränkungen. Eine Mutter mit einem Baby darf nicht mehr ihre Eltern besuchen, zumindest nicht mit Baby. Denn ab sofort gelten diese Kontaktverbote auch für Kinder unter 14 Jahren, beispielsweise in Niedersachsen. Was vor einem Dreivierteljahr noch galt, dass ein Haushalt als eine Person gezählt wird, weil diese Menschen ohnehin eine Infektionsblase bilden, gilt nicht mehr. Das ist brutal, das ist realitätsfern und das ist unmenschlich. Und es ist nicht verständlich angesichts der Tatsache, dass man weiterhin sich in überfüllten U-Bahnen und Zügen drängeln darf, dass in Großraumbüros und Werkhallen weitergearbeitet wird wie vorher. Der private Raum wird bis ans Äußerste eingeschränkt, aber die Wirtschaft soll weiterlaufen. Damit schön Steuern gezahlt werden, so dass die Abgeordneten weiter ihre Diäten kassieren können. Was im Frühjahr noch undenkbar erschien – die ganze Bevölkerung in den eigenen vier Wänden einzusperren, wie es in Italien, Spanien und Frankreich praktiziert wurde, ist auch hierzulande nicht mehr undenkbar. Ein angepasstes Infektionsschutzgesetz sollte auch für solche Maßnahmen die Rechtsgrundlage schaffen. Ein Vorbote einer solchen Maßnahme ist die 15-km-Regel. Noch gilt diese nur für Hotspots mit einem Inzidenzwert von über 200 (dass der Inzidenzwert keine Grundlage für Grundrechtseinschränkungen sein kann und darf, darüber muss man hier nicht diskutieren), aber wer weiß, was noch folgt.

Mit verstörender Ignoranz nimmt der Staat sämtliche psychosozialen Kollateralschäden in Kauf. Steigende Suizidraten, die massive Zunahme psychischer Erkrankungen, die Isolationshaft von Alten und Kranken, menschenverachtende Umstände für Sterbende, steigende Zahlen häuslicher Gewalt, das Leiden der Kinder und Jugendlichen – all dies scheint völlig irrelevant zu sein. In blindem Aktionismus bekämpft man einen Virus, der zum Maß aller Dinge geworden ist. Nachhaltigkeit war noch nie eine Tugend unserer Regierung – in Corona-Zeiten noch weniger als je zuvor. Ein Lockdown hilft nicht? Dann macht man eben den nächsten Lockdown. Auch wenn ein Lockdown die Toten nur auf morgen verschiebt und mehr schadet als nutzt.

Viele Schäden der derzeitigen Maßnahmen werden wir erst nach und nach erkennen. Was passiert mit einem Volk, das sich nur noch maskiert begegnet? Haben Sie schon einmal überlegt, wie viele Lächeln Ihnen im letzten Jahr entgangen sind? Falls Sie es vergessen haben – das sind diese Momente, wenn wir auch fremden Menschen auf der Straße begegnen und uns spontan anlächeln, uns selbst zum Geschenk machen.

Es geht hier um Lebenszeit – dies scheint wenigen Menschen bewusst zu sein.

Um die Lebenszeit von unseren Kindern, unseren Eltern und von uns selbst.

Leben kann man nicht beliebig nachholen. Es gibt Momente, die sind einmalig, und dazu gehören vor allem auch geboren werden und sterben. Wenn ein Vater nicht bei der Geburt dabei sein darf, weil es der Staat so gebietet, kann man das nicht später nachholen. Und wenn eine Mutter isoliert sterben muss, ohne dass jemand ihr die Hand halten darf, kann niemand das wieder gutmachen.

Die so oft plakativ in Propagandamanier zitierten Einzelschicksale der Corona-Toten existieren auch beklemmend düster in Zusammenhang mit den Kollateralschäden. Aber darüber dreht der Staat keine Filmchen. Das Kind, das nun wieder einmal im erneuten Lockdown seinen Tätern hilflos 24 Stunden am Tag ausgeliefert ist. Der Künstler, der nicht mehr auftreten darf und von Depressionen verschlungen wird. Der Gastronom, für den Ausgleichszahlungen kein Ersatz für seine Leidenschaft zu kochen sind. Vereinsamte Senioren, die nicht mehr von ihren Kindern und Enkeln besucht werden, weil diese nicht die Schuld auf sich laden wollen, diese anzustecken. Das Kind, das nicht mehr schlafen kann und sich ständig die Hände wäscht, weil es nicht schuldig am Tod seiner Mutter werden möchte.

Diese Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen. Wir werden eines Tages feststellen müssen, was wir alles in Kauf genommen haben, um Infektionszahlen nach unten zu drücken, unter Werte, denen jede medizinische Grundlage fehlt.

Wir werden feststellen, dass die sog. Pandemie unser Zusammenleben verändert hat, und zwar nicht das Virus, sondern die Maßnahmen. Wir werden zugeben müssen, dass wir uns viel zu viel haben gefallen lassen.

Dass wir bereit waren, unsere Grundrechte widerstandslos aufzugeben und wegzuschauen, wenn es um das Leid der anderen ging. Wir werden erkennen, dass Masken Menschen verändern, dass wir verlernt haben menschlich zu sein.

Und wir werden irgendwann verstehen, dass es dabei um etwas ganz anderes ging.