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Von der deutschen Regelbesessenheit

Es gibt einen deutschen Charakterzug, der mir schon immer zuwider war. Ich fahre auf der richtigen Seite mit dem Fahrrad und du nicht, und das gibt mir das Recht, dich anzuschnauzen und fast umzufahren. Es ist dieses Rechthaberische, dieses Pochen auf Regeln, auf Richtig und Falsch und die damit verbundene ständige Bereitschaft zu Gehorsam.

In der Corona-Zeit zeigt sich dieses Regelbesessene besonders deutlich. Vielen deutschen BürgerInnen kann es mit Regeln, Vorschriften und Verboten gar nicht zu weit gehen. Man hat dann endlich wieder etwas, woran man sich halten kann. Und etwas, was man anderen vorwerfen kann, wenn sie es wagen auszuscheren.

Ausgerechnet solch einem überdisziplinierten Volk, dem ein bisschen laissez-faire ganz gut täte, steht eine Regierung vor, die Aussprüche macht wie: ‚Reißt Euch am Riemen’ – ‚Wir werden die Zügel anziehen müssen’ und ‚Es liegt an Euch, ob Eure Weihnachten so einsam werden wie die Ostertage’. Was heißt ‚ausgerechnet’ – vermutlich gerade deshalb. Ein Volk, das bei der Vorbereitung einer Party mehr damit beschäftigt ist, den anfallenden Müll richtig zu trennen, als sich zu freuen auf das bevorstehende Ereignis, kann man sicher besonders gut moralisch unter Druck setzen dadurch, wenn man immer wieder auf die schlimmen Folgen aufmerksam macht, sollten die Regeln nicht eingehalten werden. Der regelbeflissene Deutsche (Pauschalierungen sind immer schwierig und tendenziell falsch, es sei an dieser Stelle trotzdem gewagt) geht in vorauseilendem Gehorsam selber in den Lockdown, trifft sich nicht mehr mit seinen Freunden und seiner Familie, gibt seine Hobbies für die nächsten 6 Monate auf, bis die Erkältungszeit wieder vorbei ist.

Und man denkt sich ständig neue Regeln aus, um Maßnahmen noch strenger durchzusetzen zu können, was darin ausartet, dass bei einer Maskenpflicht in der Fußgängerzone einer deutschen Stadt (wobei ja gerade die Maskenpflicht im Freien hoch umstritten ist) das Essen, Trinken und Rauchen in diesem Bereich offiziell verboten wird, weil man sich ja für einen Moment die Maske herunterziehen müsste. In Deutschland weiß man, wie man Schlupflöcher stopft, durch die jener entwischen könnte, der glaubt schlau genug zu sein.

Der Untertanengeist des deutschen Volkes ist unverkennbar noch vorhanden, und das weiß eine Regierung auch. Keinem Volk kann man so gut Angst machen und kein Volk wird so bereitwillig sich untereinander denunzieren wie das deutsche.

Das klingt nicht gut, das ist auch nicht gut. Aber der Rebellengeist, der Widerständler wurden in diesem Land schon immer mit Argwohn betrachtet, in dem man so genau weiß, was richtig und was falsch ist und worüber noch diskutiert werden darf und worüber nicht.