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Die Corona-Krise ist auch eine Krise der Sprache

Manche Ausdrücke in Corona-Zeiten erzeugen bei mir Übelkeit bis Ekel: Dazu gehört das Wort 'drastisch' - alles war bereits im Frühjahr drastisch: die Einschränkungen, die Maßnahmen... Eng verbunden mit dem Wort drastisch sind Worte wie drakonisch, einschneidend, schockierend, gnadenlos.... zudem das Worte Strafe - drastische Strafen. Widerlich ist auch das Wort 'triftig', siehe Lockdown Berchtesgarden: Die Menschen dürfen nur noch aus 'triftigen' Gründen ihre Wohnung verlassen. Triftige Gründe sind dem Wort nach schwerwiegende Gründe oder sehr überzeugende Gründe. Der Staat entscheidet darüber, was für mich triftig ist? Hier kommen wir in ein ganz heikles Gebiet - ein Arztbesuch ja, ein Besuch bei der alten kranken Tante nein? Einkaufen ja, Beerdigung nein? Hier sind Willkür und Machtmissbrauch Tür und Tor geöffnet.
Diese Krise ist auch eine Krise der Sprache, der Worte.
Die Sprache wird missbraucht, um Assoziationen zu wecken, die Angst schüren. Worte werden benutzt, die unbewusst an alte Erfahrungen von Gefahr, Strafe, evtl. sogar Gewalt andocken.
Sanktionen sollen gefügig machen. Die Angst vor Ausgrenzung, wenn man sich nicht an die Regeln hält, wird angeheizt.
Sprache kann etwas Wundervolles sein - Worte können trösten, inspirieren, Räume öffnen, berühren. Und zugleich kann Sprache, wird sie missbraucht, das Dunkelste in uns hervorholen. Dann appelliert sie an unsere dunkelsten Triebe, macht uns zu Denunzianten und obrigkeitstreuen BürgerInnen.
Ein Meister der angsteinflößenden Rhetorik ist Söder: 'Wir müssen die Daumenschrauben anziehen....' - Daumenschrauben sind ein Folterinstrument, das im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit der 'Wahrheitsfindung' dienen sollte. Man muss sich diese Sprachbilder wirklich deutlich machen, um zu begreifen, was hier geschieht. Merkel will seit längerem die 'Zügel anziehen' - das heißt rein sprachlich übersetzt: Gehorsam einfordern.
Das sollte nicht die Sprache einer demokratischen Regierung sein, gleichgültig in welcher Lage wir uns gerade befinden.
Die Überwindung dieser Krise hat auch damit zu tun, auf Worte zu achten, zu erkennen, was die Worte der Presse und der Regierung in uns auslösen. Und darauf zu achten, wie wir selber sprechen. Es ist jeden Tag unsere Entscheidung, ob wir Worte nutzen, um zur gesellschaftlichen Spaltung beizutragen, oder ob wir mit Worten Räume zur Liebe, zur Freiheit und zum Mitgefühl öffnen.