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Wie ich zum Verschwörungstheoretiker wurde

Ehrlich gesagt habe ich mich bis vor kurzem nicht mit Verschwörungstheorien beschäftigt. Ich habe erst einmal nachgelesen: „Als Verschwörungstheorie wird im weitesten Sinne der Versuch bezeichnet, einen Zustand, ein Ereignis oder eine Entwicklung durch eine Verschwörung zu erklären, also durch das zielgerichtete, konspirative Wirken einer meist kleinen Gruppe von Akteuren zu einem meist illegalen oder illegitimen Zweck“ (Wikipedia). Aha.

Seit Beginn des Lockdowns im März gehe ich für die Grundrechte auf die Straße und schreibe Artikel. Weil es mir unmöglich erscheint, die massivste Grundrechtseinschränkung seit Gründung der Bundesrepublik widerstandslos hinzunehmen. Berufsverbot, Reiseverbot, Kontaktverbot, Kunstverbot und vieles mehr. Als ich dann nach der ersten Demonstration die Berichterstattung in der Presse sah, wusste ich, dass ich nun zum Verschwörungstheoretiker geworden war. Wahlweise zum Nazi. Aha. Sich für die Demokratie einzusetzen, dient also dem obigen Zitat folgend einem illegalen Zweck. Interessant. Hochinteressant. Die Logik scheint in diesen Tagen ein wenig zu leiden. Die fromme Hoffnung, dass man Demonstrationen nach Aussetzung vieler Grundrechte als Zeichen einer lebendigen Demokratie seitens der Politik und der Presse freudig begrüßen würde, begrub ich schnellstmöglich. Corona hatte längst die Idee der Alternativlosigkeit in die Köpfe der Regierung und der Bevölkerung gepflanzt. Das absolute Primat des physischen Überlebens wurde mit dem Nimbus des Lebenrettens umgeben, wurde moralisch aufgeheizt. Zitat auf der Seite der Bundesregierung: Nie war es leichter Lebensretter zu sein. (Halten Sie sich an die Regeln!)
Jeder, der die Politik der Alternativlosigkeit nicht mittrug, in Frage stellte, handelte unsolidarisch, unmoralisch und verwerflich. Dafür brauchte man Kategorien, die möglichst abwertend waren, um zu verhindern, dass sich mehr Menschen einer demokratischen Bewegung anschlossen, die man in Corona-Zeiten absolut nicht gebrauchen konnte. Verschwörungstheoretiker oder Nazi. Wer wollte schon damit in einen Topf geworfen werden? Geistig verwirrt oder politisch extremistisch oder gar beides zusammen? Menschen, die zuvor noch überlegt hatten, ebenfalls für die Demokratie, für die Freiheit und für die Vernunft auf die Straße zu gehen, taten es dann nicht. Sie wollten sich nicht von ihren Bekannten vorwerfen lassen, im Schulterschluss mit Rechtsradikalen auf der Straße zu stehen. Die Presse heizte die Stimmung gegen die Demonstrationen so lange an, bis sie irgendwann verkünden konnte, der Zulauf zu diesen Veranstaltungen hätte abgenommen.

Tatsächlich hatte ich geglaubt, in einem freiheitlichen Rechtsstaat zu leben, der meine Grundrechte garantiert, der mein Lebensrisiko bei mir lässt und mich entscheiden lässt, ob ich rauche, mit 200 km/h über die Autobahn rase, Fallschirm springe oder mich eben einem Infektionsrisiko aussetze. Und dass ich, wenn ich für diese Freiheit kämpfe, nicht zum Verschwörungstheoretiker erklärt werde.

Ich hatte auch geglaubt, in einem Staat zu leben, der auf demokratischer Grundlage seinen BürgerInnen vertraut, dass sie fähig sind, verantwortungsbewusst zu handeln.

Weit gefehlt. Empfehlungen reichten nicht mehr – es mussten Zwänge, Pflichten, Sperren und Verbote her. Und wenn man dies kritisierte, landete man wiederum umgehend in der Ecke der Verschwörungstheoretiker. Abwertung und Diskriminierung verhinderte schon immer bewusste Auseinandersetzung. Was von vornherein für indiskutabel erklärt wird, darüber braucht man nicht länger zu reden oder nachzudenken.

Verschwörungstheoretiker zeichnen sich theoretisch dadurch aus, dass sie krude Erklärungen für bestimmte Ereignisse haben, also dadurch, dass es ihnen meist an Logik und Vernunft mangelt. Indem man nun kritische BürgerInnen, die die Aussetzung der Grundrechte aufgrund eines geänderten Infektionssschutzgesetzes und das Durchregieren mittels Erlassen und Verordnungen ohne parlamentarische Beteiligung in Frage stellen, zu Verschwörungstheoretikern degradiert, sagt man, dass demokratisches Handeln unvernünftig sei. Und das ist dann wiederum nicht nur unvernünftig, sondern auch gefährlich.

Wer Parallelen zum Ende der Weimarer Republik zog, wurde sofort zum Rechtsradikalen erklärt. Es schien nicht mehr möglich, was wir aus der deutschen Geschichte gelernt haben, dass nämlich Krisen mit entsprechenden Notverordnungen in einer Diktatur münden können, in Bezug setzen zu dürfen zur heutigen Situation. Damit sagt man noch lange nicht, dass wir dieselbe Situation wie damals haben. Damit sagt man, dass wir vorsichtig sein sollten, dass wir uns daran erinnern sollten, dass im Grundgesetz steht, alle Staatsgewalt geht vom Volke aus und dass Widerstand notwendig ist, wenn versucht wird, die Verfassung außer Kraft zu setzen.

Nun war ich also Verschwörungstheoretiker. Ich halte Demokratie nicht für selbstverständlich und ich glaube nicht, dass wir für immer davor gefeit sind, uns in einem autoritären Staat wiederzufinden. Wenn man Verschwörungstheoretiker sein muss, um demokratisch handeln und selbständig denken zu können, dann bin ich gern Verschwörungstheoretiker. Denkverbote, die einen demokratischen Diskurs und Meinungsvielfalt verhindern, sind in einer solchen Krise wie jetzt brandgefährlich. Wir brauchen Menschen, die Fragen stellen, die Kritik äußern, die nachdenken, die nicht einfach einem mainstream hinterhertrotten oder schlimmstenfalls diesem in vorauseilendem Gehorsam vorauseilen. Dieser Virus hat deutlich gemacht, was unser eigentliches Problem ist.

Wir haben verlernt, Meinungsvielfalt auszuhalten. Wir haben verlernt, Demokratie aktiv mitzugestalten. Damit beschäftigt unsere coolsten Selfies aus unserem Urlaub zu posten, stundenlang auf unsere smartphones und tablets zu starren und uns es in unseren Filterblasen gemütlich zu machen, sind wir zu passiven, manipulierbaren BürgerInnen geworden, die ab und zu zur Wahlurne gehen und das kleinste Übel wählen, aber die lange aufgehört haben, ein demokratisches Miteinander zu gestalten.

Corona kann für bestimmte Risikogruppen gefährlich sein, aber Schlafen in der Demokratie ist noch viel gefährlicher. Aus der Geschichte zu lernen, heißt nicht nur sich damit zu beschäftigen, was an Gräueltaten im 20. Jahrhundert geschehen ist, sondern auch immer wieder zu reflektieren, an welcher Stelle wir mit unserer Demokratie gerade stehen und gegebenenfalls zu verhindern, dass autoritäre Handlungsweisen sich nach und nach durchsetzen.

Niemand, der in diesem Land eine andere Meinung vertritt als die gängige Meinung, sollte als unsolidarisch diffamiert oder auf andere Weise gebrandmarkt werden.

Anders sein muss immer möglich sein – gleichgültig, ob es um politische Meinungen, sozialen Status, Beruf oder Hautfarbe geht.

Wir könnten lernen, tolerant zu sein.