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Eine geblümte neue Normalität – oder warum wir uns nicht an den Ausnahmezustand gewöhnen dürfen

Ist etwas dagegen einzuwenden, wenn Menschen sich bunte Blümchenmasken aufziehen und sich dabei um ein möglichst trendiges Design des neuen Gesichtsaccessoires bemühen? Die Fähigkeit aus allem das Beste zu machen und sich schnell anzupassen, sollte doch positiv bewertet werden – oder nicht?

Ja, es ist etwas dagegen einzuwenden.

Das fraglose Hinnehmen einer staatlich verordneten Gesichtsbedeckungspflicht ist gefährlich. Sich zu schnell mit den neuen Pflichten, Zwängen und Beschränkungen einzurichten, bedeutet das widerstandslose Aufgeben einer im Grundgesetz garantierten Freiheit.

Mich hat es gewundert, nein, fassungslos gemacht, wie schnell sich manche Menschen in meiner Umgebung kurz nach dem Lockdown zu Hause zurücklehnten und feststellten, das sei doch wunderbar, nun endlich einmal zu entschleunigen und mehr Zeit zu haben. Die Aussetzung der Grundrechte schien sie nicht zu tangieren. Demokratie war ein fernes Wort aus dem Geschichtsunterricht in der Schule.

Der Prosecco kitzelte am Gaumen, während sie einen der sonnenreichen Frühlingstage genossen. Corona, das war bestimmt eine tolle Chance und super für das Klima. Endlich hatten wir die Krise, die wir brauchten.

Moment... Sollte es tatsächlich so einfach sein, aus einer parlamentarischen Demokratie eine Gesundheitsdiktatur zu machen? Weil gesellschaftliches Engagement sich darin erschöpfte, ab und zu eine Polit-Talkshow im Fernsehen zu gucken?

Schon bald wurde von den PolitikerInnen die neue Normalität propagiert, an die wir uns gewöhnen müssten. Da liegen die blümchenverzierten MaskenträgerInnen also doch goldrichtig. Wenn schon neue Normalität, dann zumindest geblümt (nichts gegen Blümchen). Wenn der Ausnahmezustand zur Normalität erklärt wird, legitimieren wir diesen.

Und so konnte man sich in den letzten Wochen nicht des Eindrucks erwehren, dass wir uns aus Sicht der PolitikerInnen (und ihrer teilweise fragwürdigen BeraterInnen) doch bitte an diesen Ausnahmezustand, pardon, an die neue Normalität gewöhnen sollen, weil uns dieser Virus namens Corona noch sehr lange begleiten werde.

Also, warum nicht doch Blümchen-Maske auf und so tun, als hätten wir nicht gemerkt, dass unsere Grundrechte im Zuge eines über Nacht geänderten Infektionsschutzgesetzes (klingt besser als Ermächtigungsgesetz) eben mal für ein paar Monate ausgesetzt werden?

Unter Masken bekommt man weniger Sauerstoff, das verringert Konzentration und Denkvermögen – man kann also nicht mehr darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn die sog. Maßnahmen, die uns retten sollen, nicht mehr vom Parlament, sondern nur noch von den Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin erlassen werden. Dann hinterfragen wir auch nicht mehr die verdrehte Logik, mithilfe derer uns Lockerungen als Gnadenakte verkauft werden, statt dass wir darauf bestehen, dass es eine tägliche Legitimation der Einschränkungen geben müsse.

Wenn wir zu den privilegierten Menschen gehören, die den Lockdown im eigenen Haus und Garten genießen dürfen, im friedlichen Kreise der Lieben, dann muss man verstehen, dass wir uns nicht dafür interessieren, dass Menschen in Alters- und Pflegeheimen gerade an Einsamkeit sterben, dass Sterbende auf ihrem letzten Weg allein gelassen werden und dass Opfer häuslicher Gewalt gerade vierundzwanzig Stunden ihren Tätern ausgesetzt sind.

Diese sog. Corona-Krise enthält Realitäten, die keine Schnittmenge mehr haben. Dort Menschen in ihren Rattan-Sesseln mit Prosecco im eigenen Garten, hier Menschen am Rande ihrer Existenz.

Blümchenmasken laden zum Wegschauen ein. Ich mache es mir schön in dieser neuen Welt. Und ich bin so solidarisch, wenn ich mit Maske herumlaufe. Dass ich dabei vergesse Mitgefühl zu haben mit denen, die allein und verzweifelt sind – naja, das kommt halt vor, aber davon hab ich gar nichts gemerkt. Hauptsache, ich bin solidarisch.

Darum – Blümchenmaske ab – der Wind ist rauer ohne sie. Man begegnet dem Leben wieder direkter.

Und wenn wir schon Mund und Nase bedecken wollen, dann sollten wir nicht vor dem Leid unserer Mitmenschen die Augen verschließen. Denn wir sitzen alle in einem Boot. (Und das nicht geblümt).