Der Tod ist eine Zumutung des Lebens. Er ist jene Grenze, die vielen Angst macht, die so endgültig und absolut erscheinen mag, die uns in unserer einzigartigen Individualität auszulöschen scheint. Und der Tod passt nicht so richtig gut in eine Gesellschaft des Selbstoptimierungs-wahns und des unbegrenzten Wachstums.
Dieses Ende der jetzigen Existenz ist etwas, worüber man lieber nicht nachdenkt. Besser man lebt so, als würde es den Tod nicht geben. Man verdrängt, verleugnet und kompensiert. Gestorben wird nicht mehr innerhalb der Familie, sondern im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Wir haben alles dafür getan, dass der Tod uns mit seiner Anwesenheit nicht belästigt. Der Tod ist eine sterile Sache geworden, die man mit Gummihandschuhen vorsichtig angefasst und aus dem Leben entfernt hat.
Der Tod ist etwas, über das wir keine Kontrolle haben in unserem sonst so durchkontrollierten Leben. Die smart watches, die uns unseren täglichen Kalorienverbrauch, unsere Schlafqualität, unsere Bewegungsmenge mitteilen, können daran auch nichts ändern. Der Tod kommt irgendwann immer – manchmal schleichend, manchmal plötzlich. Manchmal als unerwarteter Schicksalsschlag, manchmal als Erlösung. Vermutlich jeder Mensch trägt seine ganz eigenen Befürchtungen hinsichtlich des eigenen Sterbens und des Todes mit sich herum.
Doch eine bewusste Auseinandersetzung damit bleibt meistens aus. Als würde einem magischen Denken folgend die Beschäftigung mit diesem Thema uns dem Tod näherbringen.
Wir haben es mit individueller als auch mit kollektiver Verdrängung zu tun.
Und dann kommt plötzlich ein fremder Virus, dessen Gefährlichkeit wir nur schwer einschätzen können. Plötzlich kommt uns der Tod näher, als uns lieb ist. Und wir tun alles, ja, wirklich alles, um dieser Nähe zu entgehen. Wir prügeln uns um Klopapier, wir denunzieren unsere Nachbarn, wir lassen uns klaglos einsperren, wir verzichten auf unsere Grundrechte und nehmen den finanziellen Ruin schweigend hin.
Was im Moment passiert, zeigt vor allem eins: Unsere riesige Angst vor dem Tod. Und unser Unvermögen mit diesem Teil des Lebens gut umzugehen.
Es ist aus dem psychotherapeutischen Kontext hinlänglich bekannt, was passiert, wenn mächtige Inhalte zu lange und zu stark verdrängt werden. Sie drängen nach oben und wenn diese Inhalte auf einmal von außen an uns herangetragen werden, läuft das Fass über. Und das heißt, es werden verzweifelte Versuche unternommen, das überlaufende Fass unter Kontrolle zu bringen – der auslaufende Inhalt soll mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln wieder in das Fass zurückbefördert werden, ob es etwas bringt oder nicht.
Wir reagieren besonders stark auf Bilder, sie berühren uns tiefer als Statistiken und Fallzahlen. Bilder von italienischen Armeefahrzeugen gefüllt mit Bergen von Leichen haben uns direkt in unserer verdrängten Todesangst erwischt.
Hier drängen nicht nur individuelle Ängste hoch, sondern die gesamten kollektiven Ängste unserer menschlichen Geschichte – wie die Angst vor einer Millionen Menschen dahinraffenden Seuche.
Wenn der zukünftige Umgang mit Pandemien besonnener und verhältnismäßiger sein soll, dann müssen wir uns vor allem mit unserer eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen. Es gilt, die Verletzlichkeit, die Fragilität des Menschseins zu akzeptieren und sich mit der eigenen Endlichkeit zu versöhnen.
In diesem Sinne kann diese sog. Corona-Krise auch eine Aufforderung sein, das Sterben wieder in das Leben hineinzunehmen, nicht wegzuschauen, sondern hinzusehen. Und den Tod wieder begreifen zu lernen, nicht nur in seiner Unmissverständlichkeit, sondern auch in seiner Würde.