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BürgerInnen zwischen Pflichten, Zwängen und Verboten

Dialog auf Augenhöhe zwischen PolitikerInnen und BürgerInnen gibt es nicht mehr. Seit Corona haben wir eine Kommunikation von Sperren, Verboten, Zwängen, Drohungen und Erlassen. Vom Bürger wird in Zeiten der Aussetzung der Grundrechte angesichts einer vermeintlich tödlichen Bedrohung durch einen Virus Gehorsam gefordert, die ihm wiederum als Solidarität verkauft wird und in der er sich gut gefällt. Erstaunlich ist indessen, wie bereitwillig sich deutsche BürgerInnen unterordnen, wie begeistert sie dem Aufruf einzelner PolitikerInnen zu Denunziation widerständiger MitbürgerInnen folgen und wie laut sie nach immer härteren Maßnahmen schreien. Ist er da wieder, der so oft zitierte deutsche Untertanengeist? Haben wir nur auf die Gelegenheit gewartet, unser demokratisches Mitdenken einzustellen und einfach mal wieder nur zu tun, was uns gesagt wird?

Das Problem an einer Kommunikation, in der es nur noch um Pflichten für alle und Verbote und Bußgelder geht, ist, dass sie die PolikerInnen zu Herrschenden oder Bestimmenden und das Volk zu einer Masse der Folgsamen (oder verbotenerweise nicht Folgsamen) macht und damit eine Schwarz-Weiß-Welt zwischen Oben und Unten generiert. Zwischentöne werden hier schwierig oder sind nicht mehr erlaubt.

Diese Art der Kommunikation wird tatkräftig von einer Presse unterstützt, deren meistgelesene Artikel nun solche sind: ‚Was ist in Corona-Zeiten noch erlaubt, was nicht?’ oder ‚Das massive Einschreiten der Polizei’ oder ‚Der neue Bußgeldkatalog’.

Die Frage ist, wie lange Menschen, die es gewöhnt sind in einer freiheitlichen Demokratie zu leben, genau das tun, was man ihnen sagt. Bisher ist es gelungen, die Aussetzung der Grundrechte als Akt der Solidarität zu verkaufen. Und zwar so überzeugend, dass alle, die an der Rechtmäßigkeit der geltenden Maßnahmen zweifeln oder sogar Kritik daran üben, zu Corona-LeugerInnen und unsolidarischen Mitmenschen erklärt werden, die den Ernst der Lage einfach nicht begriffen haben oder die seltsam unempathisch sind. Wer es wagt, die auffallend einseitige Berichterstattung der Medien anzusprechen oder sogar zu kritisieren, findet sich wieder in der Schublade mit denjenigen, die von einer Lügenpresse sprechen. Menschen, die es wagen, den derzeitigen Umgang mit Zahlen in Zweifel zu ziehen und finstere Horrorszenarien skeptisch zu betrachten, werden extremisiert. Und dies ist das Problem, wenn aus potentiell demokratisch handelnden Menschen Untertanen werden, über die man verfügt, über die man bestimmt, denen man Halbwissen als Wahrheit verkauft oder die man bewusst mithilfe von Referenzszenarien aus Italien in Angst und Schrecken versetzt.

Solidarisch sein heißt nun zu tun, was gesagt wird, ohne darüber nachzudenken, ob es verhältnismäßig oder richtig ist. Heißt zu glauben, dass Chefvirologen und PolitikerInnen schon wissen, was sie tun. Und zu behaupten Zeit zu reden und sich Gedanken über Demokratie zu machen, gibt es jetzt nicht. Weil die Gefahr naht, weil jede/r vom Tod durch Corona bedroht ist, kurz- oder langfristig, weil wir uns nicht schuldig machen dürfen, indem wir nicht folgen.

In dieser Atmosphäre eines eher autokratischen denn demokratischen Staates fällt der Spielraum eines Individuums, der Nachdenken über das eigene Handeln und daraus enstehende Selbstverantwortung bedeutet, unter den Tisch. Spielräume sind derzeit zu gefährlich – offenbar nicht nur aus Sicht der PolitkerInnen, sondern auch der BürgerInnen selbst. Nur Zwänge, Verbote und Pflichten scheinen noch gewährleisten zu können, dass wir nicht auf die prophezeite Katastrophe hinsteuern, die jeden Abend zur Nachrichtenzeit in die deutschen Wohnzimmer mit pathetischen Worten hineinschallt. „Wir werden bald Zustände wie in Italien haben“ – solche Sätze, die weder auf sicherem Wissen stehen noch einem seriösen Nachrichtenstil entsprechen, konnte man in den letzten Wochen regelmäßig von den neuen PredigerInnen der Apokalypse hören, den NachrichtensprecherInnen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Spielräume, so werden viele sagen, sind in Zeiten einer Pandemie Luxus. Hier bräuchten wir zügiges und einheitliches Handeln. So sehr dies aus Sicht des Infektionsschutzes richtig sein mag, so bleibt zu bedenken, dass auch in Zeiten einer Pandemie dies nicht die einzige Sicht ist.

Sind Grundrechte in Zeiten einer Pandemie wirklich etwas, auf das wir verzichten sollten, ohne nachzudenken? Immer wieder hört man dieselben Argumente, die man getrost als Totschlagphrasen benennen darf: Wenn deine Liebsten betroffen sind, dann..... Wenn jemand eine kollabierte Lunge hat, dann....

Die Wenn-Dann-Logik, auf der sämtliche Sperren, Pflichten, Drohungen und Bußgeldverordnungen beruhen, zieht sich längst durch die Kommunikation der gesamten Bevölkerung. Demokratie, Grundrechte, Freiheit – was ist das schon angesichts einer tödlichen Bedrohung?

Hier wird unterstellt, dass das Primat der Gesundheit absolut ist und für jeden gilt. Doch hier sind Zweifel angebracht. Gerade feiern wir die 75jährige Befreiung von Bergen-Belsen, gedenken der Millionen durch das deutsche NS-Reich umgebrachten KZ-Insassen. Wir feiern Menschen wie die Geschwister Scholl, Graf von Stauffenberg, die für gelebten Widerstand in einer Diktatur stehen. Menschen, die ihr Leben nicht höher stellten als Freiheit und Demokratie.

Es ist etwas, was jeder Mensch für sich selber prüfen muss, wie wichtig ihm eine freiheitliche Demokratie ist, welche Opfer er bereit ist dafür zu bringen und umgekehrt, was er bereit ist aufzugeben für den Gesundheitsschutz. Diese Frage muss offen bleiben, jeder muss sie für sich selbst beantworten. Es darf keine Denkverbote und kein Massendiktat geben, wie diese Frage beantwortet werden solle.