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Von Astronautenhühnern, Steckenpferden und Literaturklassikern - unser lustiges Land

Achtung - Triggerwarnung:
Dieser Artikel könnte einen Angriff auf Ihre Lachmuskeln darstellen. Durch das Stilmittel der Überspitzung könnten in Ihnen unangenehme Gefühle ausgelöst werden.

Staunen, Wundern, Lachen – oder: Schreien, Heulen?

Wir leben in besonderen Zeiten, seit einiger Zeit. Zeiten, in denen man immer Neues lernen kann, weil es immer wieder Dinge gibt, die man sich zuvor gar nicht vorstellen konnte. Wie etwa, dass Hühner in Deutschland nun Warnwesten anziehen sollen. Warum das so ist, hat uns Cem Özdemir erklärt. Nein, sie sollen das nicht machen, damit Autofahrer sie beim Überqueren der Straße besser sehen können. Und auch nicht dann, wenn sie einen Unfall hatten, nachdem sie das Warndreieck aufgestellt haben. Der böse Habicht soll durch das grelle Neongelb dieser Westen davon abgeschreckt werden, sich auf das Warnweste tragende Huhn zu stürzen. Also, falls Sie Hühner halten: Bei einschlägigen Onlinehändlern bekommen Sie diese Westen, die laut Anbieter zudem exzellenten Komfort und Schutz vor Kälte bieten.

Deutschlands Bürger haben ein neues Hobby entdeckt – Hobby Horsing. Erwachsene reiten auf Steckenpferden durch Turnhallen, sie traben, galoppieren, springen und spielen selbst das Dressurpferd. Vergessen Sie Reiten auf einem echten Pferd – das ist doch viel zu aufwendig und teuer. Nehmen Sie einen Besenstil, basteln Sie einen Pferdekopf, stecken Sie beides zusammen und fertig ist Ihr Steckenpferd, auf dem Sie beliebig durch die Gegend reiten können. Im Gegensatz zum echten Pferd riecht es nicht, äppelt nicht alles voll und muss auch nicht ständig gefüttert werden. Und das Tolle: Sie sind nicht nur Reiter, sondern auch Pferd.

Okay – ich befinde mich in Deutschland, anno 2023. An mir marschieren Hühner in Warnwesten vorüber und Menschen auf Steckenpferden hoppeln fröhlich winkend an mir vorbei.

Zugegeben, in Corona-Zeiten hat man sich ja schon an einiges gewöhnen müssen, wie nur im Uhrzeigersinn um den See spazieren zu dürfen, wegen der Ansteckungsgefahr. Oder nicht mehr rodeln zu dürfen, auch wegen Ansteckungsgefahr, die bekanntlich an Rodelhängen besonders groß ist. Oder nicht mehr am Strand spazieren gehen zu dürfen, weil bei starkem Seewind die Viren besonders dramatisch umherfliegen. Oder auf dem Weihnachtsmarkt keine Bratwürstchen an Ungeimpfte hinter dem Zaun geben zu dürfen. Oder im Openair-Kino in vier Quadratmeter großen Metallgitter-Umzäunungen platziert zu werden. Nun werden manche sagen, ja, Corona, das war eine Ausnahmesituation.

Wir bekamen dieses Jahr einen Brief von der Gemeinde mit der Aufforderung, unsere Gosse ordnungsgemäß zu säubern. Erst einmal mussten wir nachgucken, was eine Gosse ist. Der Rinnstein also. Wir sind aufgerufen, nicht nur den Gehweg vor unserem Grundstück von jeglichem Straßenbegleitgrün zu säubern, sondern müssen ebenso die Gosse straßenbegleitgrünfrei halten, damit das Regenwasser ordnungsgemäß abfließen kann. Vier Wochen nach Erhalt des Briefes kommt es zur Gossenkontrolle.

Wir leben in Deutschland, diesem eigentlich wunderbaren Land, das so viel zu bieten hat, von der Nordsee bis zu den Alpen, von der Ostsee bis zum Schwarzwald, von Seenplatten bis zu malerischen Flussläufen, vom wortkargen Norddeutschen bis zum lebenslustigen Badenser, vom ostfriesischen Platt über Sächsisch bis Bayrisch, mit einer langen Geschichte großartiger Komponisten, Schriftsteller, Maler, Philosophen und Erfinder. Aber irgendwie liegt uns etwas quer seit einiger Zeit.

Unsere Politiker sind nicht mehr Staatsmänner und – frauen, sondern Volkserzieher – sie sehen ihre Aufgabe nunmehr darin uns zu erklären, wie man sich richtig die Hände wäscht, wie man abends die Heizung runterdreht, wie lange man duscht und wie man einen Waschlappen benutzt. Und was feministische Außenpolitik ist. Und sie wissen, dass man als Unternehmer, wenn man kein Geld mehr einnimmt, nicht automatisch insolvent sei, sondern nur aufhöre zu produzieren oder nur seinen Laden schließen müsse, aber insolvent sei man deshalb ja noch lange nicht.

Ja, und Konzerte werden hier abgebrochen oder gleich abgesagt, wenn der Sänger oder die Sängerin die falsche Frisur trägt. Karl-May-Festspiele finden nun ohne Indianer statt. Und Winnetou-Bücher werden aus dem Handel genommen. Geht alles gar nicht. Denn wir leben in einem Land, in dem eine Minderheit genau weiß, was richtig und falsch ist, und dieses Wissen dem Rest der Bevölkerung aufzwingt, die es sich aufzwingen lässt. Deshalb werden jetzt auch Kinderbücher gereinigt von alten falschen Weltbildern und umgeschrieben. Und Otto-Filme mit einer Triggerwarnung versehen: „Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden.“

In Großbritannien sind mehrere Universitäten dazu übergegangen, Literatur-Klassiker mit Triggerwarnungen zu versehen – nicht alles Bekloppte geschieht ausschließlich in Deutschland. Die Universitäten Salford und Aberdeen sammeln auf einer Internetseite Warnhinweise zu klassischer Literatur, die für ein sicheres Gefühl bei den Lesern sorgen sollen. Eines der beanstandeten Werke ist Jane Austens Stolz und Vorurteil, weil der darin thematisierte Klassenunterschied zwischen Arm und Reich schmerzhafte Gefühle bei den Studenten auslösen könne, abgesehen davon dass das Buch sexistische Stellen enthalte. (Ich denke, wir müssen im Werk Goethes sehr viele Stellen schwärzen und zudem den Großteil seiner Bücher ebenfalls mit Triggerwarnungen versehen.) Ebenso soll an den genannten britischen Universitäten Shakespeares Julius Cäsar ins Visier der akademischen Zensoren geraten sein, denn es gehe in dem Werk um Mord und um sexistische Einstellungen. An der Universität Cambridge werden die Warnhinweise bereits im digitalen Bibliothekskatalog angezeigt – wenn die Studenten weiterlesen möchten, müssen sie eine Einverständniserklärung abgeben, möglicherweise getriggert zu werden. Eine weitere britische Universität in Northampton – ich traue dies aber ebenso deutschen Universitäten zu - warnt vor einem Literaturklassiker: George Orwells 1984 – das Buch enthalte explizites Material, dass Studenten anstößig oder beunruhigend finden könnten. Vor diesem Buch kann man ja auch nur warnen, gerade in diesen Zeiten.

Die Worte Mama und Papa sind übrigens jetzt auch diskriminierend – vorgemacht von Großbritannien und Australien kam dieser Trend in diesem Jahr auch bei uns an, und so berichtete die Tagesschau: Partner*innen von Entbindenden sollen zwei Wochen frei bekommen, und vermied auf diese Weise das Wort Mutter.

Ansonsten – in Deutschland hat man die gelben Säcke abgeschafft. Es sind nun gelbe Tonnen vorgeschrieben, wegen Plastikmüll und so. Dass in den ohnehin engen deutschen Großstädten für weitere Tonnen vor jedem Haus gar kein Platz ist, weil da schon schwarze, blaue und braune Tonnen stehen, hat man nicht bedacht. Daher haben wir es nun mit einer neuen Stadtbildverschönerung in Form überall auf Gehwegen stehender gelber Tonnen zu tun, lustige kleine Farbtupfer, die zudem die körperliche Geschicklichkeit der Passanten herausfordern, indem jeder Gang zum Supermarkt zum Hindernisparcour wird.

Beim Sprechen müssen wir nun kleine witzige Schluckaufpausen machen, damit sich niemand diskriminiert fühlt, welchem Geschlecht er oder sie oder es sich auch immer zugehörig oder nicht zugehörig fühlt. Und beim Schreiben müssen wir überall so kleine Doppelpunkte in die Worte schreiben, die da eigentlich gar nicht hingehören, damit wir alle im Boot haben.

Sie sehen, wir sind in einem lustigen Land, das unfreiwillig ständig komisch ist.

Ich bin sehr gespannt, was in 2024 alles dazukommen wird.

Vielleicht werden Kalender verboten, weil sie dazu führen, dass ich mich angesichts der vergehenden Zeit unwohl fühle, indem sie mir mein eigenes Altern ständig vor Augen führen. Vielleicht dürfen wir nicht mehr Geburtstag feiern, weil sich all jene, die schon gestorben sind, damit nicht gut fühlen, weil sie ja nicht mehr Geburtstag feiern können. Und es gibt bestimmt noch jede Menge Literaturklassiker, die man aus dem Verkehr ziehen oder die man umschreiben sollte – sind ja eh viel zu viele Werke von alten weißen Männern dabei. Und es gibt bestimmt noch sehr viele Worte, die diskriminierend wirken könnten. Und jede Menge Faschingskostüme, die so gar nicht mehr gehen. Und sonstige Umdeutungen der Realität: Wenn es regnet, heißt das ja nicht, dass man nass wird – die Kleidung ist vielleicht nur nicht mehr ganz trocken.

Seien wir gespannt, welche Geschichten uns unsere Politiker im nächsten Jahr erzählen. Und seien wir ebenso gespannt, welche Geschichten wir uns selber auftischen. Und vor allem seien wir darauf gespannt, welch fantastische Ideen das neue Jahr für uns bereithalten mag.