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Demokratie ernstnehmen

Die Public-Relation-Maschine für gewünschte Gesinnungen läuft derzeit wieder auf Hochtouren. In Endlosschleife werden wir mit den gigantisch hohen Teilnehmerzahlen auf den Demonstrationen gegen rechts beschallt – Teilnehmerzahlen, die so hoch sind, dass jemand in den sozialen Medien ironisch anmerkte, der ‚Spiegel’ würde wohl beim jedem Reposting seines Beitrages über die Demos jeweils 3000 Teilnehmer dazu zählen. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass das ZDF ein bearbeitetes Foto verbreiten ließ, um die überwältigende Menge an Demonstranten feiern zu lassen – es wurden einfach noch ein paar Unmengen mehr von ihnen auf die Kleine Alster gezaubert, also dorthin wo eigentlich Wasser ist, das zu diesem Zeitpunkt nicht gefroren war...).

Was ich schreibe, gilt vermutlich bereits als rechts. Daher muss ich wohl an dieser Stelle betonen, dass ich es richtig finde, wenn Menschen sich gegen Rechtsextremismus positionieren und dagegen auch auf die Straße gehen, genauso übrigens wie gegen andere extremistische Strömungen. Und trotzdem ist da so ein ungutes Gefühl, das gar nicht zu passen scheint in die Euphorie der sich selbst feiernden Demonstranten und der diese Demonstranten feiernden Presse, wo doch nun die schweigende Mehrheit aufgestanden ist und ein großartiges Zeichen gegen die AfD und ihre Gesinnungsgenossen gesetzt hat. Der Autor Gideon Böss schreibt in diesen Tagen: "Ich gehe nicht auf Demos gegen die AfD, zu denen Parteien aufrufen, wegen deren Politik überhaupt zu Demos gegen die AfD aufgerufen werden muss." (Gideon Böss ist Schriftsteller und Kolumnist, der regelmäßig für Zeitungen und Magazine wie die Welt, Cicero u.a. schreibt.) Ein Standpunkt, der durchaus berechtigt ist, denn es ist ja wohlfeil, nun gegen die AfD auf die Straße zu gehen, damit auch gegen einen beträchtlichen Anteiler von Wählern in diesem Land, sich gegen einen gemeinsamen Feind auf der Straße zu vereinigen, aber dabei stillschweigend darüber hinwegzugehen, dass eine bestimmte gegenwärtige Politik überhaupt erst dazu geführt hat, dass eine Partei wie die AfD solche Zuwächse verzeichnen kann, um sich dann auch noch von den Vertretern genau dieser Regierungspolitik dafür feiern zu lassen, dass man ein so engagierter Bürger ist. Eine Politik, die vollkommen an der Realität eines Großteils der Menschen vorbeiregiert, die sich zunehmend darauf kapriziert, lauter Verbote zu erlassen, deren desaströse Wirtschaftspolitik zunehmend den Industriestandort Deutschland ruiniert und die es verweigert, sich für nachgewiesenermaßen falsche und sogar verfassungswidrige Coronamaßnahmen zu entschuldigen.

Da kann man schon einmal stutzig werden. Nichts verbindet mehr als der gemeinsame Feind – eine bekannte Tatsache, die sich Regierung und Presse in diesen Tagen offenbar zunutze machen, wo ein scharfer Wind gegen die Ampelregierung weht, wie sich nicht zuletzt auf den Bauernprotesten zeigte, denen sich viele Vertreter aus anderen Berufsgruppen anschlossen. Es war eine aufgeheizte Stimmung in weiten Teilen des Landes, als nun plötzlich fast wie durch ein Wunder Massen an Bürgern sich Seite an Seite mit Regierungsvertretern auf die Straße stellten und riefen: Nazis töten.

Die Zeitung ‚Die Welt’ titelte in einem Artikel, der leider wie fast alle relevanten Artikel der großen Zeitungen hinter der Bezahlschranke ist: Grundrechte gelten auch für Staatsfeinde. Moment, bevor der große Aufschrei kommt, einmal nachdenken: Ja, in einer Demokratie gelten Grundrechte auch für Mörder, Vergewaltiger und Volksverhetzer. Anna Schneider, die diesen Artikel verfasst hat und die u.a. für die Welt und den dtv-Verlag schreibt, bemerkt: ‚Niemand steht dem Leviathan nackt gegenüber, das ist der Deal, zumindest in modernen Verfassungsstaaten. Das gilt auch und gerade für Staatsfeinde. Insofern schon ein bisserl krass autoritär, dass der Grundrechtsentzug Höckes überhaupt diskutiert wird.’

Auch wenn es unangenehm ist, das ist Demokratie. Menschen wie Höcke muss man in einem Land wie Deutschland politisch stellen, durch eine überzeugende Politik, die Menschen erreicht, in der politischen Debatte.

Und das mit den Grundrechten ist seit der Coronazeit ja nicht mehr eine ganz unbelastete Angelegenheit. Wenn Massen an Menschen den Grundrechteentzug eines Politikers fordern, egal wie fragwürdig dieser Mensch ist, wird mir etwas mulmig. In den letzten vier Jahren musste ich erfahren, wie einfach und wie schnell Grundrechte für einen nicht mehr gelten, wenn man über seinen Körper noch selbst entscheiden möchte und nicht begeistert einem Narrativ über die erlösende Spritze hinterherläuft. Es sind Erfahrungen, die man nicht einfach mal vergessen kann. Ausgrenzt zu werden aus dem öffentlichen Leben, sich überlegen zu müssen, wie man einer drohenden Impfpflicht entkommt, gegebenenfalls nicht mehr arbeiten zu dürfen – das sind einschneidende Erfahrungen.

Und ich frage mich: Sollte es gelingen, einem Politiker die Grundrechte zu entziehen, (was bisher noch nie gelungen ist), wenn dieser Dammbruch vollzogen ist, was folgt dann? Wem werden dann bei Gelegenheit die Grundrechte entzogen werden? Sind es dann vielleicht nicht mehr nur rechtsextremistische Politiker, sondern andere Menschen, die sich öffentlich gegen ein bestimmtes Narrativ stellen?

Wehret den Anfängen – kann man da nur wieder einmal sagen.

Wo waren all die Menschen, die sich jetzt gerade als begeisterte Demokraten feiern, als während der Corona-Krise Grundrechte massiv eingeschränkt wurden, als gesunde Menschen aus der Gesellschaft entfernt wurden, als ganze Häuserblocks von der Polizei china-like, mittlerweile nachgewiesen verfassungswidrig, abgeriegelt wurden, als Polizisten Rodelhänge stürmten, um Menschen ohne Maske vom Schlitten zu zerren, als führende Politiker gegen Ungeimpfte hetzten als Parasiten und Treiber der Pandemie? Wo waren all da jene, die jetzt sich Buttons auf ihre Reverse heften: ‚Nie wieder Faschismus’, die aber in den letzten Jahren fleißig mitmachten bei der Ausgrenzung und Denunziation der Andersdenkenden? Wer schrie da auf, als nur noch eine einzige Meinung geäußert werden durfte, als Demonstrationen gegen die Corona-Politik mit Gewalt unterbunden wurden?

Ja, ich tue mich schwer mit all diesen begeisterten Demokraten, die gerade durch die Straßen laufen und ihr Engagement dann aufnehmen, wenn es angenehm ist dies zu tun, weil es alle tun, weil man nichts zu befürchten hat, nicht von übergriffigen Polizisten eingekesselt wird, weil niemand die Personalien aufnimmt, weil man mit der allseits gefeierten Meinung geht. Das ist wohlfeiles demokratisches Engagement.

Und ist es nicht etwas verlogen, wenn man sagt, man gehe gegen Hass auf die Straße und dabei Schilder hochhält, die voller Hass sind? Zweierlei Maß, wohin man schaut. Anscheinend gibt es nun auch noch den richtigen Hass und den falschen Hass, so wie es die richtigen und die falschen Demonstrationen gibt.

Ist Hass nicht immer falsch? Schüren wir damit nicht noch mehr das Feuer, das in unserer Gesellschaft schon lichterloh brennt? Wird es eine AfD irgendwie in ihrem Höhenflug bremsen, wenn man versucht, sie zu verbieten, wenn zwanzig bis dreißig Prozent von Wählern in diesem Land für unerträglich erklärt werden?

Wir sollten anfangen Demokratie wieder ernst zu nehmen und mit allen in den Dialog gehen, auch mit jenen, mit denen es angeblich nicht möglich ist. Wir sollten aufhören, immer auf der richtigen Seite stehen zu wollen. Wir sollten wieder lernen, was echte Toleranz ist, was politische Debatte ist. Parteien-Verbote und Grundrechtsentzüge sind einer Demokratie nicht würdig. Setzen wir uns wieder der Tatsache aus, dass eine Demokratie von der Vielfältigkeit der Meinungen und Standpunkte lebt, mögen sie noch so schwierig auszuhalten sein.