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Hetzjagd auf Kranke - Wie Läden in Hannover-City ihr Hausrecht missbrauchen

Markus R.[1] wollte am zweiten Adventssamstag eigentlich nur ein paar Weihnachtsgeschenke kaufen. Als er eine große Buchhandlung in Hannover-City betritt, wird er aufgefordert eine Maske aufzusetzen. Markus R. hat aufgrund einer chronischen Vorerkrankung ein ärztliches Attest und zeigt dieses vor, doch die Mitarbeiter des Ladens bestehen darauf, dass er ohne Maske dort nicht einkaufen dürfe. Markus R. weist auf die niedersächsische Verordnung mit der entsprechenden Ausnahmeregelung hin. Die Mitarbeiter bestehen auf das Hausrecht und rufen die Polizei. Drohend bauen sich die Polizisten, ohne Abstand einzuhalten, vor Markus R. auf und werfen ihm Hausfriedensbruch vor. Markus R. muss seine Personalien aufnehmen lassen und den Laden verlassen.  Offenbar spielt das Antidiskriminierungsgesetz in Deutschland keine Rolle mehr. Markus R. versucht es in einem großen Sportgeschäft – wieder muss er den Laden verlassen, es wird auf das Hausrecht gepocht.

Wenn jeder Laden sich so verhalten würde, könnten Menschen mit Vorerkrankungen und Maskenbefreiung derzeit sich nicht einmal Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs kaufen, sie könnten nicht mehr mit der Straßenbahn zum Arzt fahren und würden vollständig aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen werden. Wie kann es sein, dass Menschen mit einer Vorerkrankung oder Behinderung, die somit bereits zu den Schwächeren der Gesellschaft gehören, in diesen Zeiten so massiv diskriminiert werden können, und dass keine Regierung, kein Gericht hier ein Machtwort spricht und dafür sorgt, dass diese Diskriminierung ein Ende hat?

Denn eigentlich wird der Kampf gegen Diskriminierung in Deutschland großgeschrieben. Wir kämpfen um Gendersternchen, um das korrekte Formulieren von Stellenausschreibungen und ächten Rassismus. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) [https://www.gesetze-im-internet.de/agg/index.html] , oder auch Antidiskriminierungsgesetz, wurde als Bundesgesetz im August 2006 erlassen und soll Benachteiligungen aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen.

Doch wenn man all dies ernst meinte und sich an geltendes Recht halten würde – wie ist dann der derzeitige Umgang mit Menschen zu rechtfertigen, die aufgrund von Vorerkrankungen oder Behinderungen von der Maskenpflicht befreit sind?

Kranke und Behinderte müssen dieses Jahr auf den Weihnachtseinkauf in Hannover-City verzichten, obwohl in der niedersächsischen Corona-Verordnung explizit durch eine Ausnahmeregelung dafür gesorgt ist, dass Menschen, die aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen keine Maske tragen können, weiterhin am öffentlichen Leben teilnehmen, das heißt, weiterhin Bus und Bahn benutzen und einkaufen gehen dürfen: „Personen, für die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigung oder einer Vorerkrankung, zum Beispiel einer schweren Herz-oder Lungenerkrankung, das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht zumutbar ist und die dies durch ein ärztliches Attest oder eine vergleichbare amtliche Bescheinigung glaubhaft machen können, und Kinder bis zur Vollendung des 6.Lebensjahres sind von den Verpflichtungen nach den Absätzen 1, 2 und 5 ausgenommen.“[2]

Diese Ausnahmeregelung ist zu keiner Zeit adäquat von den Landesregierungen noch von der Presse kommuniziert worden. Stattdessen wurde mit Einführung der Maskenpflicht durch entsprechende Berichterstattung dafür gesorgt, dass Menschen ohne Maske gleichgesetzt wurden mit Maskenverweigerern, dass der Eindruck entstand, dass Atteste ohnehin alle Fake-Atteste oder Gefälligkeitsatteste seien, was zur Folge hatte, dass ärztlich von der Maskenpflicht befreite Menschen denunziert, diffamiert und diskriminiert werden. Sie müssen sich seit Monaten als unsolidarisch, als unsoziale Schweine, als Egoisten und Gefährder beschimpfen lassen, werden ausgegrenzt und kriminalisiert.

Immer wieder gab es Vorstöße von Ladenketten wie Kaufhof oder IKEA ihr Hausrecht durchsetzen zu wollen und Betroffenen das Einkaufen in ihren Geschäften pauschal zu verbieten. Immer wieder mussten diese Unternehmen davon Abstand nehmen, da sie mit diesem Verhalten massiv gegen das Antidiskriminierungsgesetz verstoßen. Und immer wieder versuchen Geschäfte erneut, kranke und behinderte Menschen vom öffentlichen Leben auszuschließen.

Was ist mit der in diesen Zeiten so groß geschriebenen Solidarität? Müssten wir diese nicht gerade den Menschen entgegenbringen, die aufgrund einer Vorerkrankung oder Behinderung nicht dazu in der Lage sind eine Maske zu tragen?

Wäre es nicht ‚normal’, wenn man diesen Menschen mit Sorge und Mitgefühl begegnet, statt sie wüst zu beschimpfen?

Müssen sich nicht alle, also auch LadeninhaberInnen, an geltendes Recht halten, also auch an das Gleichbehandlungsgesetz? Wird doch gerade den Maskenverweigerern massiv vorgeworfen, dass sie sich nicht an geltendes Recht halten? Gilt dies für die andere Seite nicht?

Viele Betroffene ziehen sich zurück, verzichten auf die Teilnahme am öffentlichen Leben. Die täglichen Anfeindungen kann ein Mensch nur begrenzt aushalten. Der permanente Rechtfertigungsdruck beim Betreten von Läden, Einkaufszonen, Bussen und Bahnen, die permanente Diffamierung zermürbt. Das Erleben dauerhafter Ausgrenzung durch einen wütenden Mob und das Fehlen jeder Perspektive, ab wann sich diese Situation grundlegend ändert, führt nicht selten zu Depressionen und Angsterkrankungen. Im schlimmsten Fall begehen die Betroffenen Suizid.

Dies nimmt eine Gesellschaft und deren Regierung, deren einziger Fokus auf Infektionszahlen zu liegen scheint, billigend in Kauf.

Ein altes Sprichwort besagt: Keine Regel ohne Ausnahme!

Warum ist es in diesem Land so schwer, damit gut umzugehen?

Anstatt kranke und behinderte Menschen ohne Maske auszugrenzen und zu mobben, könnten wir Toleranz und Mitgefühl üben, uns in die Betroffenen hineinversetzen. Wie geht es wohl jemandem gerade, für den jeder Einkauf, jede Busfahrt zum Spießrutenlauf wird? Wie ist es wohl, wenn man an jeder Ecke mit wütenden, aufgebrachten Blicken bombardiert wird, obwohl man nichts getan hat?

Und wie geht es denjenigen, die schwere Gewalttaten durch maskierte Täter erlebt haben und die nun täglich und überall aufgrund der dauerhaften Maskierung mit Flashbacks und Erinnerungen an das Grauen ihrer Vergangenheit kämpfen müssen?

Es gibt vernünftigerweise Ausnahmeregelungen, die in den Verordnungen aller Bundesländer geregelt sind. Es gibt das Antidiskriminierungsgesetz. Und so haben sich alle LadeninhaberInnen an geltendes Recht zu halten.

Und der Rest ist eine Frage der Menschlichkeit.

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[1] Name von der Redaktion geändert

 

[2] . (Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2(Niedersächsische Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020(Nds. GVBl. S. 368, geändert durch-§4 der Verordnung vom 6. November 2020 (Nds. GVBl. S. 380)-Artikel 1 der Verordnung vom 27. November 2020 (Nds. GVBl. S. 408; § 3, Absatz 6)